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Schreiben als Zwiesprache. Für die Schriftstellerin Lonny Neumann bedeutet das Schreiben geheime Kommunikation mit der Gegenwart, mit der Geschichte, Erinnerung und Erwartung. Am heutigen Freitag wird sie 80 Jahre alt.

©  Manfred Thomas

Kultur: Von Schauplätzen des Lebens

Lonny Neumann veröffentlichte zu ihrem heutigen 80. Geburtstag das Buch „Blaue Kacheln“

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Nach dem Erscheinen des Buches „Der Stein“ vor 14 Jahren sagte Lonny Neumann in eine Freundesrunde hinein: „Was einem sehr lange nur allein gehörte, geht jetzt an die Öffentlichkeit, gehört es allen. Das ist für mich ein aufregender Moment.“ Das Loslassen von einem Manuskript fällt der Schriftstellerin schwer. Gern würde sie noch diesen oder jenen Gedanken, der in den Text eingeflossen ist, noch einmal überdenken, an Sätzen, an Worten feilen. Selbstzweifel spielen da wohl manchmal eine Rolle. Auch Verwerfungen. Sie schreibt viel mehr. Wenn sie über den Text geht, wird es immer weniger. Vielleicht ist es so wie beim Kochen von Marmelade: Man muss rühren und rühren, damit sie eindickt. Ihre Schreibhaltung scheint dabei immer vorsichtig zu sein. Von Draufgängerischem und Auffahrendem hält sie nichts. Bloßstellen ist ihr sowieso ein Gräuel.

Schreiben ist auch für Lonny Neumann Zwiesprache, geheime Kommunikation mit der Gegenwart, mit der Geschichte, Erinnerung, Erwartung, ist Sich-selbst-Lesen. Es ist, das Leben erzählen. „Den Alltag aufschreiben – versuchen zu sagen, was ich gesehen habe – ein Fädchen aufheben und bewahren oder fortspinnen – manchmal von Vollmond zu Vollmond eine Summe ziehen “ In diesem Satz, den man auf der ersten Seite des soeben erschienenen kleinen Bandes „Blaue Kacheln“ (united p.c. Verlag, 16.40 Euro) lesen kann, gibt sie den Tenor ihres Schreibens an. Er ist zum 80. Geburtstag der Potsdamer Schriftstellerin am heutigen Freitag noch rechtzeitig erschienen. In der von ihr geschätzten Buchhandlung Viktoriagarten, die sich in ihrem Kiez in Potsdam-West befindet, wird Lonny Neumann am heutigen Abend eine Lesung aus ihrem Buch geben.

In ihren Aufzeichnungen, die sie auch Sommerblätter nennt, nimmt Lonny Neumann den Leser mit auf ihre Spaziergänge zum nahe gelegenen Schloss Charlottenhof. Jahrelang und allmorgendlich ist sie unterwegs zu diesem Ort im Park Sanssouci, der zu ihrem Lieblingsplatz geworden ist. „Ich grüße im Vorübergehen Apollo und Chloe und gelange auf die Terrasse. Die alten Platanen gegenüber stehen reglos unter wolkenlosem Himmel. Wieder bin ich verwundert, dass dies im Altwerden mein Morgenweg geworden ist.“ Sie begegnet den Gärtnern im Rosengarten, macht einen kleinen Plausch mit ihnen, ein wenig später sinnt sie über die Dichter der Weltliteratur nach, die vor dem Schloss als Büsten ihren Platz gefunden haben: darunter Dante, Petrarca, Goethe, Schiller.

Lonny Neumann offenbart in ihrem Buch ihre innere Welt. Unverstellt und darum auf besondere Weise verwundbar. Der Spaziergang, zu dem sie manchmal die reale und auch fiktive Figur Anna mitnimmt, ist für die Autorin ein Nachdenken über ihr Verbundensein mit der Natur und über die Wechselfälle der Geschichte, ihre Beziehungen zu Menschen, die ihr nahestehen oder von denen sie sich entfernte, mit Erscheinungen des täglichen Lebens. Es sind Gedanken, die durch sie hindurchgehen, Einflüsse, denen sie ausgesetzt ist, Glück und Schmerz. Vieles davon vertraut sie den Sommerblättern an. Gleich Mosaiksteinen setzt sie den inneren und äußeren Schauplatz von Lebensstationen zusammen. Doch es ist keine Autobiografie. Da liest man von den frühen Jahren, als sie heiratete und Kinder gebar, wie sie als Lehrerin in einem mecklenburgischen Dorf Probleme mit den „Allesregierenden“ – so nennt sie die SED-Kader – bekam, von den heiß ersehnten Buchereignissen zu DDR-Zeiten. Die hoffnungsvolle und erfrischende Zeit der Wende um 1989, in der Lonny Neumann in Potsdam sich mit Wort und Tat einbrachte, wird berechtigterweise ebenfalls nicht vergessen. Und immer wieder die vielfältigen Begegnungen mit Freunden und Bekannten. Aber auch aktuelles Stadtgeschehen bindet sie in ihre Reflektionen ein. So teilt sie dem Leser mit, dass sie sich anstatt einer Rekonstruktion der Außenhaut des Stadtschlosses einen Neubau für den Landtag gewünscht hätte. „Wird es mir gelingen, mich mit dem Entstehenden auszusöhnen?“

Lonny Neumann erzählt auch über ihre Reisen nach Italien, die sie zumeist mit der Brandenburgischen Gesellschaft „Il Ponte“ unternahm. Doch sie zweifelt, ob es ihr als „schwerfälliger Nordmensch“ zusteht, etwas über Italien zu schreiben. Doch der Faszination über die alte Kultur und Kunst ist auch sie beim Verfassen des Textes über den Lago Maggiore oder über den Oktobersommer auf Sardinien erlegen: „Erschöpft von so viel Sehen und Staunen, im vergeblichen Bemühen, Jahrtausende zu fassen.“

„Blaue Kacheln“ ist nach der vor sechs Jahren erschienenen biografischen Erzählung „Grüne Glasscherben“ (Märkischer Verlag) ein neues stilles Buch von Lonny Neumann, mit einem Hauch von leiser Melancholie, das Suchen, Verfehlen und Finden des Glücks stets auf der Spur ist.

Lonny Neumann liest am heutigen Freitag um 20 Uhr in der Buchhandlung Viktoriagarten in der Geschwister-Scholl-Straße 10 aus ihrem Buch „Blaue Kacheln“

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