Kultur: Von wegen Thesenanschlag
Heinz Schilling stellt im Gespräch mit Altbischof Wolfgang Huber seine Lutherbiografie vor
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Von manchen historischen Persönlichkeiten existieren seit Lebzeiten unterschiedliche Bilder, die einen idealen Nährboden für Legenden und Anekdoten sind. Doch sie müssen sich Neubefragungen von Historikern gefallen lassen. Davon ist Martin Luther nicht ausgeschlossen. Intensiv hat sich der Berliner Geschichtsprofessor Heinz Schilling mit dem Reformator beschäftigt und fasste den aktuellen Forschungsstand in seiner Biografie „Martin Luther – Rebell in einer Zeit des Umbruchs“ (Verlag C.H. Beck, 29,95 Euro) zusammen. Das Brandenburgische Literaturbüro wird am kommenden Freitag im Friedenssaal der Friedenskirchengemeinde das Buch von Heinz Schilling vorstellen. Neben dem Autor wird der Altbischof Wolfgang Huber zu Gast sein. Gemeinsam mit dem Potsdamer Publizisten Alexander Gauland, der als Moderator fungiert, wollen sie sich Luther und seiner Reformation, die Weltgeschichte machte, nähern.
Da ist beispielsweise der 31. Oktober 1517. Dieser Tag hat sich seit vier Jahrhunderten als entscheidendes protestantisches Datum der Reformation ins Gedächtnis eingemeißelt. Der Augustinermönch Martin Luther soll 95 Thesen an die Tür der Schlosskirche von Wittenberg angenagelt haben. Doch dieses Bild ist eine Legende. Wahr ist, dass der Theologe seine Klagen über den Ablasshandel 1517 an zwei Bischöfe geschrieben und dem Brief 95 Thesen beigelegt hat, die er mit ihnen diskutieren wollte.
Zugegeben, der öffentliche Protest Luthers an der Schlosskirche liest sich als eine spannende Geschichte. Sie hat unser Bild vom Rebellen Luther geprägt, der doch seiner katholischen Kirche nur ihre Sünden vorhalten wollte. Doch Historiker gehen solchen Berichten auf den Grund. Zwar hat der Thesenanschlag schon in den Sechzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts seinen Glanz durch Zweifel eines Theologen an seiner Richtigkeit verloren, doch jetzt hat der Berliner Historiker dies nochmals wissenschaftlich untermauert. Heinz Schilling will nicht nur den Legenden an den Kragen gehen, ihm geht es auch nicht um „einen Luther, in dem sich unser eigener Geist spiegelt, sondern um den ,fremden‘ Luther, dessen Denken und Handeln sich sperrig zu den Interessen nachfolgender Generationen verhält.“ Darum plädiert er dafür, dass man den Reformator verstehen kann, wenn man auch 500 Jahre Wirkungsgeschichte durcharbeitet. In der Vergangenheit habe man sich, so Schilling, stets einen Luther gebacken, wie es einem gerade recht war
Schilling gibt in seiner höchst spannend zu lesenden Biografie Einblick in die damalige deutsche und europäische Fürstenpolitik. Beispielsweise die Jahre vom Beginn des 16. Jahrhunderts bis zum Reichstag in Worms 1521, der eine Wende im kirchenpolitischen Leben des Theologen Luthers darstellte. Luther war bereits durch Kirchenbann zum Ketzer erklärt worden. Dennoch erhielt er von Kaiser Karl V. eine Chance, vor den versammelten deutschen Fürsten seine Kritik an der Kirche zu widerrufen. Doch er blieb standhaft.
Mit Interesse liest man auch die Darlegungen über Luthers feindliche Haltung gegenüber den Juden. Landläufige Sichtweisen zu diesem Thema sind jedoch für den Historiker zu simpel. Sie können sogar irreführend sein. Es gebe einen Unterschied zwischen dem modernen Antisemitismus und dem, wie er es nennt, „Anti-Judaismus“ Luthers: „Er hoffte ja anfangs, alle Juden würden sich zu seiner Spielart des Christentums bekehren, dann sind sie volle Mitglieder der abendländischen Gesellschaft. Und dieses ist im Dritten Reich nicht möglich. Und es gibt sogar schlimme Formulierungen lutherischer Bischöfe: Wenn die Juden sich taufen ließen, sie blieben immer noch Juden“. Doch Luther habe es nie so formuliert, schreibt Heinz Schilling in der Biografie.
Die Luther-Biografie von Heinz Schilling in der Diskussion am Freitag, dem 12. April, 19.30 Uhr, im Friedenssaal, Schopenhauerstraße 23. Der Eintritt kostet 7, ermäßigt 5 Euro. Kartenreservierung unter Tel.: (0331) 280 41 03
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