Kultur: Von Wellness keine Spur
Revolutionär und leichtfüßig spielte die Kammerakademie den Auftakt zum Beethovenmarathon
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Ohne ein ausgeprägtes Selbstbewusstsein geht das nicht: Alle neun Beethoven-Sinfonien an vier Abenden hintereinander zur Aufführung zu bringen – das ist nicht ohne. Dieser Herausforderung hat Dirigent Antonello Manacorda sich und sein Potsdamer Orchester, die Kammerakademie, gestellt und mit dem Beethoven-Zyklus im Nikolaisaal ein Kulturereignis in der Landeshauptstadt in Gang gebracht, das mit viel Aufmerksamkeit bedacht wird. Manacorda geht dabei ganz chronologisch vor. Am ersten Abend, am Donnerstag, erklangen im nicht ausverkauften Konzerthaus die Sinfonien eins bis drei.
Interessant war dabei die Besetzung des Orchesters, insbesondere der Streicher. Die Besetzungsstärke war im Wien der Beethoven-Zeit nicht festgelegt und schwankte zwischen 14 und 22 Spielern, zu besonderen Aufführungen konnte diese Zahl sogar noch aufgestockt werden. Manacorda brachte am ersten Abend 24 Streicher auf die Bühne und kreierte so eine sehr konzentrierte und engagierte Spielweise. Doch der Klang der Streicher entpuppte sich als zu hart, zu sperrig: Über weite Strecken war von Beseelung nichts zu spüren.
Dabei sind Beethovens Sinfonien von kanonischer Bedeutung. Bereits mit der Ersten wird die Gattung aus der Sphäre der Unterhaltungs- und Gebrauchsmusik, der das sinfonische Schaffen Joseph Haydns und Wolfgang Amadeus Mozarts noch größtenteils verhaftet war, herausgehoben. Jedes einzelne Werk bekam von Beethoven eine eigene Prägung, die sich ins Allgemeingültige ausweitete.
Im Nikolaisaal zeigte Manacorda bei der ersten Sinfonie, uraufgeführt 1800 in Wien, wie witzig und frech Beethoven begonnen hat. Die Poesie, die Leichtigkeit und der Humor des ersten Satzes machen das in aller Klarheit deutlich. Die Schule Haydns hat hier Eingang gefunden. Im Hauptthema des zweiten Satzes ist dann der andere große Wiener, Mozart, präsent. Den dritten Satz gestaltete der Komponist als Scherzo, das stürmischer als die an dieser Stelle üblichen Menuette daherkommt, mehr Flug als Tanz ist. Und im Finale wird Beethovens Kraft der Akzente sowie der überraschenden Modulationen spürbar. Die Herausforderung für jeden Dirigenten ist, dass man eine Balance finden muss zwischen den progressiven Tendenzen dieser Nummer Eins und den scheinbaren Anleihen bei ihren Vorfahren. Manacorda ging hierbei sehr forsch zu Werke, eine Idee zu ruppig. Die überschnellen Tempi nahmen einem fast den Atem. Der Dirigent achtete natürlich auf einen transparenten Klang, bei der weitestgehend präzise und höchst lustvoll musiziert wurde. Doch es fehlte der ersten Sinfonie der Charme, der spielerische Witz, die man bei allem Drängen und Stürmen in ihr finden kann. Eine Spur von zu viel Ernsthaftigkeit machte sich breit.
Die Zweite Sinfonie, 1803 in Wien uraufgeführt, steht schon unter anderen Vorzeichen als die Erste. Beethoven nahm während der Arbeit an ihr erstmals sein Ohrenleiden wahr, das sich schleichend über viele Jahre bis zur völligen Taubheit verschlimmern sollte. Im Blick auf das gesamte sinfonische Werk Beethovens wirkt die Zweite meist verkümmert und zahnlos. Antonello Manacorda holte das Werk nun mit festem Griff und viel Dramatik aus dem Schatten seiner Schwestern, und siehe da: Es kam eine Sinfonie zum Vorschein, die vor Kontrasten und Energie nur so sprühte. Wie aus einem Brief an seinen Bonner Freund Franz Gerhard Wegeler zu erfahren ist, kämpfte Beethoven in dieser Zeit gegen sein Schicksal an, wollte sich von diesem nicht „in den Rachen greifen“ lassen. So drückte er es aus. Manacorda ging es wohl deshalb darum, diese Hoffnung und Willensstärke herauszuarbeiten – natürlich auch hier, ohne einen cremigen Wellness-Beethoven daraus zu machen. Die Leidenschaft äußerte sich mit schroffer Wucht, doch der zweite Satz, das Larghetto, war bei der Kammerakademie das, was es ist: Musik von lyrischer Poesie.
Das Orchester vermischte einen historisch orientierten Zugang mit Modernem. Moderne Holzbläser kamen zwar zum Einsatz, auch die Streicher spielten zeitgenössische Instrumente, die Trompeten und Hörner griffen auf ventillose Instrumente zurück, was vor allem der Zweiten einen hervorragend impulsiven Klang gab.
Die Dritte Sinfonie, die sogenannte „Eroica“, 1805 in Wien uraufgeführt, ist ein wahrhaft epochales Orchesterwerk. Der Wandel ist das eigentliche menschliche Charakteristikum in der Musik Beethovens, die so vielfältig ist und fast jede Empfindung auszudrücken versteht. Erst glühender Anhänger der Französischen Revolution, distanzierte er sich mit Napoleons Kaiserkrönung 1804 von ihr und ließ die Hoffnung auf bessere, menschengerechtere Zeiten im vierten Satz doch noch siegen. Von Behaglichkeit war natürlich auch in der Interpretation der Kammerakademie nichts zu spüren. Angezogene Tempi, manchmal rabiate Akzentuierung der Taktschwerpunkte und geschärfter Klang wurden zum Prinzip erhoben. Heldenhaft und revolutionär klang das. Doch wieder war es der zweite Satz, der am meisten bewegte. Den Trauermarsch ging Manacorda ganz leichtfüßig an, mit federndem Schritt. Marschiert wurde da nicht, getrauert in Maßen.
Ein kraftvoller Auftakt des Beethoven-Marathons, der aber etwas geschmeidiger und geschliffener hätte sein können. Die Zuhörer im Nikolaisaal klatschten trotzdem begeistert.
Weiter geht der Beethoven-Marathon am heutigen Samstag, 15. Februar, im Nikolaisaal, er endet am Sonntag, 16. Februar. Beide Veranstaltungen sind ausverkauft
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