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Kultur: Von Werten und Moral
„Wofür stehst du?“ fragen Giovanni di Lorenzo und Axel Hacke in ihrem Buch, das sie in Potsdam vorstellen
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Die Jugend von heute scheint ohne jede Moral, ohne die richtigen Werte aufzuwachsen, wenn man den gemurmelten Worten älterer Generationen Glauben schenken mag. Alte Werte und moralische Vorsätze sind völlig überholt, halten die jungen Generationen dagegen. Moral, Werte und Tugenden. Worte, die in der heutigen Gesellschaft von den meisten Menschen nur mit einem spröden Lächeln bedacht werden. Doch was steht dahinter? Welchen Grundsätzen folgen wir und welche Werte empfinden wir als unumstößlich? Welche würden wir um jeden Preis verteidigen? Axel Hacke und Giovanni di Lorenzo kennen sich lange, haben Trauer und Freude, Erfolge und Fehlschläge miteinander erlebt, doch eines blieb in ihrer 25 Jahre währenden Freundschaft bisher unausgesprochen: An welche Werte und moralischen Grundsätze glaubst du? In ihrem Buch „Wofür stehst du? Was in unserem Leben wichtig ist – eine Suche“ (Kiepenheuer und Witsch Verlag, 18,95 euro) gehen sie der Frage nach, welche Werte für sie wichtig sind. Am Mittwoch, dem 26. Oktober, stellen Axel Hacke und Giovanni di Lorenzo ihr Buch in Potsdam vor.
„Damit das klar ist“, so beginnen di Lorenzo und Hacke, ihr Buch soll „kein Kanon neuer Werte und bitte auch kein Handbuch der Alltagsmoral“ werden. Wer dies erwartet, „der lege es am besten jetzt aus der Hand!“ Giovanni di Lorenzo, Chefredakteur bei der Wochenzeitung „Die Zeit“, und Axel Hacke, Schriftsteller und Kolumnist bei der Süddeutschen Zeitung, wollen mit ihrem Buch keinen Tugendkatalog entwickeln oder eine Geschichte mit besonders moralischem Ende. In sieben Kapiteln suchen die Autoren in ihren eigenen Biografien die Antwort auf die Frage: Wofür stehst du? Mal essayistisch, mal analytisch, mal kreativ und dann wieder nüchtern-erzählend nehmen sie ihre Leser mit auf eine Reise durch die Zeit, zurück zu ihren eigenen Anfängen. Die autobiografischen Abschnitte des Buches lassen tiefe Einblicke in ihre Persönlichkeiten zu. In Dialogform greifen beide Autoren die Aussagen des jeweils anderen auf, führen Gedankengänge fort, widersprechen gelegentlich auch. Durch verschiedene Schrifttypen gekennzeichnet, finden di Lorenzo und Hacke unterschiedliche Zugänge zu den Themen und gehen auf unterschiedliche Weise mit ihnen um.
Ihre Suche nach moralischen Werten beginnen die beiden Autoren im Themenfeld der Politik. Für beide ist die Politik seit jeher ein wichtiger Bestandteil ihres Lebens und so kann „ich mir gar nicht vorstellen, dass man an Politik nicht interessiert sein kann. Bei mir begann dieses Interesse, als ich ein kleiner Junge war“, schreibt di Lorenzo. Sie erzählen aus ihrer eigenen Jugend, den 70er Jahren, einer Zeit voller Umbrüche und der Allgegenwärtigkeit der Politik. Sie erzählen von ihren ersten Erlebnissen politischer Ereignisse und von den Schwierigkeiten politischer Meinungsbildung in jungen Jahren, von Fehlern, die sie begingen und heute bereuen, und von den Auswirkungen der Politik auf ihren Arbeitsalltag als Journalisten. „Aber hatte man doch früher das Gefühl, Politiker folgten noch ihren Überzeugungen, sie stünden wirklich ein für das, was sie wollten. Heute managen sie nur noch Stimmungen, sie dienen sich dem Volk an, sie laufen ihm hinterher, statt ihm Führung anzubieten“, kritisieren sie das moderne politische System. Über Fremdheit und Migration, zu denen vor allem Giovanni di Lorenzo, der 1959 in Stockholm geboren wurde und seine Kindheit in Italien und Deutschland verbrachte, einiges zu sagen hatte, führen die Episoden beider Autoren, teils aus ihrer eigenen Biografie, teils durch Geschichten anderer Personen, anschaulich zum Thema Familie. Diesem widmet sich Axel Hacke, der 1992 ein Buch mit dem Titel „Der kleine Erziehungsberater“ veröffentlicht hat, mit Feuereifer. Holen sie auf der einen Seite zum Schlag gegen das Bildungssystem aus, kritisieren sie auf der anderen die Väter und Mütter und ihre Erziehungsmethoden. Natürlich alles geschmückt mit kleinen Anekdoten und Geschichten aus der eigenen Vergangenheit. Hochphilosophisch geht es gelegentlich zu, wenn Themen wie Gerechtigkeit und das eigene Gehalt zusammengeführt werden. Sehr selbstkritisch werden Ungerechtigkeiten angeprangert, vom geringen Verdienst von Bauarbeitern im Vergleich zum golfspielenden Vorstandsvorsitzenden bis hin zur gesellschaftlichen Schichtstruktur.
Bedrückend dagegen das Kapitel: „Meine Krankheit namens Angst oder Warum Anna mir half, aber ich nicht ihr“. Geschichten von Personen, die unter Angstzuständen, Panikattacken oder Depressionen leiden, wecken Wut gegenüber der Gesellschaft, die diese Themen tabuisiert.
Vorbildern und Helden widmen sich di Lorenzo und Hacke zum Schluss, natürlich, denn wer vermittelt Moral und Werte besser als Menschen, zu denen man aufsieht? Ein Vorbild kann jeder sein, denn „Vorbild ist, wer auch tapfer ist vor sich selbst“, schreiben di Lorenzo und Hacke. Doch ein Held? Klingt verlockend. Superman, der alles richtet und die Welt vom Bösen befreit. Aber das ist es nicht, worauf Hacke und di Lorenzo hinauswollen. Denn eigentlich ist jeder, so sagen sie, der gegen Ungerechtigkeiten kämpft und seine eigenen Werte vertritt, womit wir wieder beim Anfang wären, ein Held.
Doch wofür steht man selbst? Während der 232 Seiten langen Lektüre stellt sich diese Frage häufig. Offen bleibt jedoch, warum sich Giovanni di Lorenzo und Axel Hacke diesem Thema annehmen. Wo sie doch keinen Tugendkatalog oder Moralkanon erschaffen wollten, scheinen sie die Wichtigkeit bestimmter moralischer Werte doch wieder in den Fokus der Öffentlichkeit rücken zu wollen. Dem Leser wird selbst überlassen, welche Schlüsse er zieht, welchen Themen er sich öffnen möchte, welcher Kritik er zustimmt oder welche Aussagen er ablehnt. Und doch muss auch der schärfste Kritiker von Werten und Moral, ob jung oder alt, einsehen, dass die Linie zwischen Gut und Böse nicht immer klar zu ziehen ist und erkennen, dass der Grad zwischen Moral und Unmoral gelegentlich ein schmaler ist. Da kann so ein Buch wie „Wofür stehst du? Was in unserem Leben wichtig ist – eine Suche“ sehr wichtig sein.
Axel Hacke und Giovanni di Lorenzo am 26. Oktober um 20 Uhr im Nikolaisaal in der Wilhelm-Staab-Straße 10/11. Karten zum Preis von 19,80 Euro, ermäßigt 16,80 Euro, zzgl. Systemgebühr, in der Ticket-Galerie im Nikolaisaal oder unter Tel.: (0331) 28 888 28
Chantal Willers
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