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Kultur: Vor allem Bach

Die Japanerin Naomi Matsui beim Orgelsommer

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Die Choräle des Kirchengesangbuchs sind ein Produkt der Reformation. Martin Luther holte im 16. Jahrhundert den Gesang ins Gotteshaus. Zuvor hatte die Gemeinde allenfalls ein „Halleluja“ mit anstimmen dürfen. Luther rief Dichter und Komponisten zum Schreiben von Liedern auf und komponierte selbst. Zum Ende des 17. und Beginn des 18. Jahrhunderts schuf dann Johann Sebastian Bach aus den Chorälen Meisterwerke der Mehrstimmigkeit und der musikalischen Deutung des Textes. Wie den meisten barocken Komponisten war es ihm besonders wichtig, dem gesungenen Wort einen spezifischen musikalischen Ausdruck zu geben.

Der Choral geriet während des 8. Konzerts des Internationalen Orgelsommers weitgehend im Mittelpunkt, gespielt an der Schuke-Orgel der Erlöserkirche mit ihrem neobarocken Klangideal. Naomi Matsui, die Grande Dame des Orgelspiels in Japan, machte am Mittwoch während ihrer Gastspielreise durch Deutschland Station in Potsdam. Die Musikprofessorin aus Tokio, die in Freiburg studierte, setzt sich in ihrem Heimatland intensiv für die Verbreitung der „Königin der Instrumente“ ein.

Doch bevor sie sich ganz und gar Bach zuwandte, standen auf dem Programm Werke von Dieterich Buxtehude. Zu diesem Leitstern norddeutscher Orgelmusik, der in Lübeck lebte, fühlte sich der junge Johann Sebastian Bach hingezogen. Er wurde sogar sein Lehrmeister. Naomi Matsui bedachte das Konzert mit einem organistischen Spektrum von Werken Buxtehudes. Klangpracht entfaltete die Künstlerin an der Schuke-Orgel mit dem Präludium in e (BuxWV 142) – ein mehrteiliges, groß angelegtes Werk, in dem fugierte Abschnitte eingearbeitet sind. Matsui behandelte dieses Werk mit fast dramatischem Gespür. Das kam ihm zugute und ließ jeden Anflug nordischer Steifheit weichen. Auch bei der lebendig musizierten Passacaglia in d (BuxWV 161) oder beim konzertant-virtuosen Magnificat im ersten Psalmton (BuxWV 203) erwies sich die Japanerin als engagierte Anwältin der Musik Buxtehudes.

Danach war ausschließlich Bach zu hören. Sieben Choräle aus der frühen Schaffenszeit des Komponisten wählte Naomi Matsui für ihr Programm. Sie gehören zur Neumeister-Sammlung, die erst 1985 an der Yale-Universität in New Haven (USA) entdeckt wurde. Johann Gottfried Neumeister war nicht der Komponist der Melodien, sondern der erste Besitzer der Handschriften und vermutlich ihr Kopist. Neben den Bach-Chorälen findet man 53 weitere Stücke von Komponisten der Barockzeit. Der Arzt, Organist und Bach-Biograf Albert Schweitzer nannte die Choräle Bachs „religiöse Poesie“. Man spürt aber auch, dass für den Barockkomponistentheologisches Wissen in seinem Beruf als Kirchenmusiker obligat war. Poesie und Theologie – die japanische Organistin erwies sich bei diesen beiden Säulen als kompetente Sachwalterin. Stilsicher, mit Gespür für redende Artikulation und passende Klangfarben spielte sie die Choralbearbeitungen. So wurden ihre einzelnen Charaktere zum Erlebnis, sei es die Intimität von „Herzliebster Jesu, was hast du verbrochen“, das Selbstbewusste in „Wir glauben all’ an einen Gott“ oder die Glaubensgewissheit bei „Jesu, meine Freude“. Die ununterbrochene Folge von Choralbearbeitungen gab dem Konzert eine ermüdende Kleinteiligkeit. Das Auffächern mit freien Werken wäre hilfreich gewesen. Zum Finale spielte die Japanerin die Partita über den Passionschoral „Sei gegrüßet, Jesu gütig“ (BWV 768). Jede der Variationen geriet unter Naomi Matsuis Händen und Füßen zu einem fein ausformulierten Kabinettstück. Klaus Büstrin

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