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Kultur: Vor Heidegger nicht die Augen verschließen Debatte im Kuze um den antisemitischen Denker

Wirklich neu war es nicht. Trotzdem hat sich seit der Veröffentlichung der „Schwarzen Hefte“ – der Tagebücher Martin Heideggers – im März vergangenen Jahres eine heftige Philosophie-Debatte bis in die Feuilletons ergossen.

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Wirklich neu war es nicht. Trotzdem hat sich seit der Veröffentlichung der „Schwarzen Hefte“ – der Tagebücher Martin Heideggers – im März vergangenen Jahres eine heftige Philosophie-Debatte bis in die Feuilletons ergossen. Warum? Weil darin ziemlich deutlich steht, dass der Verfasser von „Sein und Zeit“ nicht nur, was bekannt war, eine Zeitlang glühender Nazi war, sondern auch ein Antisemit der schlimmsten Sorte. Den Holocaust sah er, das legen Textstellen nahe, offenbar als Akt der „Selbstvernichtung der Juden“. Der Vorsitzende der Heidegger-Gesellschaft Günter Figal trat zurück, Thomas Vaek, Chefredakteur des Philosophiemagazins „Hohe Luft“, initiierte auf Twitter den Hashtag „Schluss mit Heidegger“, forderte also eine Philosophie ohne den deutschen Denker – und in Freiburg wird diskutiert, den dortigen Heidegger-Lehrstuhl umzubenennen.

Grund genug, fand man im studentischen und traditionell eher links angehauchten Kulturzentrum Kuze, selbst eine Veranstaltung zum Thema zu machen. Die fiel erstaunlich differenziert aus, was nicht nur am Referenten, dem Potsdamer Philosophiestudenten Christoph Straßburg, sondern auch am fachkundigen Publikum lag. Moralisch, sagte einer, der sich als Ex-Heideggerianer bezeichnete, hätte er es verdient, aus dem Kanon ausgeschlossen zu werden. Aber ganz so einfach ist die Sachlage bei einem Philosophen, der viele Nachkriegsdenker – von Sartre über Foucault bis hin zu Giorgo Agamben – beeinflusst hat, natürlich nicht. Schließlich lässt sich sein Denken nicht einfach mehr aus dem ihren herausradieren. „Foucault etwa“, so Straßburg, „sagte, er könne zu Heidegger nichts schreiben – weil er ihm alles verdanke.“

Dennoch: Heideggers Antisemitismus lässt sich nicht von seinem Denken trennen, er ist bei ihm keine politische Haltung, sondern ein Erklärungsmuster in seiner Philosophie – ohne den Begriff je in seine Schriften eingeführt zu haben. Um zu verstehen, wie er zu den Nazis und wie zum Antisemitismus kam, muss man einen kurzen Blick auf sein Werk werfen: „Ihm ging es um Authentizität“, so Straßburg, also um die Frage, wie der Mensch, der, mehr oder weniger ungewollt, in die Welt geworfen wird, artgerecht leben kann. Die Technik war für ihn dabei das Hindernis, das, was die Authentizität verhindert – die Kunst hingegen ein Mittel, sich die Welt anzueignen, sich in kritischen Bezug zu ihr zu setzen. Von den Nazis erhoffte sich Heidegger nun genau das: einen Umschwung vom Ausgeliefertsein an die Technik hin zu einem sich die Welt zueigen Machen. Insofern war er alles andere als ein Mitläufer. „Als er aber merkte, dass die Nazis die Menschen noch stärker in technische Zwänge pferchten, die Menschen im Nationalsozialismus noch weniger Mensch sein konnten, zog er sich verbittert zurück“, so Straßburg. Nur: Den Juden machte er genau denselben Vorwurf – nämlich verantwortlich für die Technisierung, etwa des Finanzsystems, zu sein.

Ein „Schluss mit Heidegger“ hält Straßburg trotzdem für Quatsch. „Das wäre wie den Kopf in den Sand zu stecken – die Philosophie ist eben nicht nur die Beschäftigung mit dem Schönen, Wahren und Guten.“ Besser wäre es, sich weiter kritisch mit ihm auseinanderzusetzen. Ernsthaften Widerspruch gab es aus dem philosophisch versierten Publikum im Kuze nicht. Ariane Lemme

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