
© Manfred Thomas
Kultur: Wahrhaftige Lügen
Paul Yederbeck: 360-Grad-Panoramakino zum Abschluss des Potsdamer Filmjahres
Stand:
So hat man die Schinkelhalle noch nie gesehen. Unter der hohen Holzdecke sind ringsum zwölf Leinwände aufgestellt und kreisförmig miteinander verbunden. In der Mitte nur ein leerer Raum. Was auf den ersten Blick geradezu kahl wirkt, wird von Bildern, Stimmen, Tönen und Bewegung erfüllt, sobald das Licht ausgeht. Zum Abschluss des Potsdamer Filmjahres haben sich die Macher etwas ganz Besonderes einfallen lassen. In einem 360-Grad-Panoramakino wird in zwölf Filmsequenzen das nachgelassene Werk des Künstlers Paul Yederbeck gezeigt.
Dass es sich dabei um eine Fiktion handelt, also um Lügen, wie Platon die Erfindungen der Dichter nannte, wird keineswegs verschleiert. Eine „wahrhaftige Lüge“ nennt der künstlerische Leiter Frank Geßner seine kinematografische Installation bei der Presse-Vorstellung, „schließlich sei das Kino die größte Traummaschine überhaupt“. So erfand Frank Geßner, hauptberuflich Professor für Theorie und Praxis der Bildkunst an der Hochschule für Film und Fernsehen in Potsdam-Babelsberg, ein kolossales Epos rund um die Figur von Paul Yederbeck, dem „letzten abendländischen Helden“. Dieser, Jahrgang 1965 und von Hause aus Maler, verbindet in seiner Kunst die künstlerischen Traditionen Europas mit den Errungenschaften der Postmoderne. Er begann mit dem individuellsten aller Genres, der Porträtmalerei, und endet im Labyrinth des Internets mit seiner unendlichen Sammlung von Texten, Bildern, Filmen und Klangkonserven. Geweckt wird die Schaulust von 252 Bildern, wie Memory-Kärtchen regelmäßig verteilt auf den 12 Leinwänden.
Sie zeigen überwiegend Porträts, denen man die malerische Herkunft ansieht. Größen aus Kunst und Kultur, von Shakespeare, Francis Bacon über Picasso, Andy Warhol und Joseph Beuys finden sich darunter, vereinzelt auch aus Politik und Gesellschaft. Die Originale stammen aus rund 1000 Gemälden, die Frank Geßner im Laufe der vergangenen 13 Jahre gemalt hat. Allein, die starren Tableaus bilden nur den analogen Ausgangspunkt des beweglichen kinematographischen Konstrukts, das mithilfe digital ausgefeilter Filmtechnik entstanden ist. Das Spiel mit den Möglichkeiten der optischen und akustischen Repräsentation muss Spaß gemacht haben, wie die vier vorgeführten Sequenzen beweisen.
Die mit Titeln wie „Entertainer“, „Flaneur“, „Projektion“ und „Animal techné“ versehenen „Bildgedichte“ oder „Klinggedichte“ fahren ein breites Arsenal modernster kinematografischer Errungenschaften auf. Dazu gehört nicht nur 12-Kanal-Video-Projektion und 3D-Computeranimationen auf, wie es heißt, „Hollywood-Niveau“. Beim „Iosono-Sound“ wird das gesamte Klangmaterial nach dem Wellenfeldsyntheseprinzip digital nachbearbeitet und auf 24 Motorwegen in die Rotunde geleitet, wie Martin Steyer, Professor für Tongestaltung an der HFF, erläuterte. Das von ihm entworfene Tonkonzept der Installation basiert auf dem westlichen, diatonischen Tonsystem mit seinen zwölf Grundtönen. Jede Sequenz beginnt mit einem davon.
Klänge, Geräusche und Musik steigern den Ausdruckswert der Bilderzählung, manchmal ganz konventionell, wie etwa mit Violinmusik, wenn Monets Seerosenbilder in das Gesicht einer lächelnden Frau übergeblendet werden. Bei einer expressionistischen Sequenz in strengem Schwarz-Weiß erklingt die Welte-Kino-Orgel aus dem Filmmuseum.
Zum großen Suchspiel in der audiovisuellen Erzählmaschine gehört dazu, dass der rote Faden erst mit vielen Assoziationen und Aha-Erlebnissen erschlossen werden muss. Vielleicht ist auch gar nicht so viel vorhanden, denn im Vordergrund stehen, zumindest auf den ersten Blick, die technischen Effekte der Installation. Dazu kommt ein ausgeklügelter theoretischer Überbau, der von Walter Benjamins berühmten Essay über das Kunstwerk im Zeitalter der Reproduzierbarkeit bis hin zum François Lyotards „Ende der großen Erzählungen“ reicht. Auch wenn der Theorie der Postmoderne zufolge der Tod des Subjekts längst eingetreten ist, so zeigt der Besuch im Atelier von Paul Yederbeck, das im Kunstraum akribisch nachgebaut wurde, dass dieser Meister höchstpersönlich größten Ruhm erlangt hat.
Wie die Repräsentation das Original, so ersetzt scheinbar die Kunst der Selbstdarstellung das Individuum. Denn es tritt einem, wie Paul Yederbeck, nur noch in Form der Fiktion entgegen, als perfekte kinematografische Illusion. Organisiert wurde die aufwendige Schau, deren Kosten im sechsstelligen Bereich liegen, mit vielen beteiligten Institutionen von der Beauftragten des Filmjahres Professor Elizabeth Prommer. Wer zum Schluss noch das real-fiktive Making-Of der intermedialen Künstlerbiografie gesehen hat, ist sicherlich restlos vom Mythos Yederbeck überzeugt.
Die Ausstellung ist noch bis 15. Januar zu sehen, Schinkelhalle/Schiffbauergasse, Di-So, 12 bis 18 Uhr. Eintritt: 5/3 Euro.
Babette Kaiserkern
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: