Kultur: Walter Herzog: Der letzte Romantiker
Eigentlich wollte Geschäftsführer Torsten Rüdinger in der Historischen Mühle vorerst keine Ausstellungen mehr zulassen, doch als das Berliner Künstler-Ehepaar Christine und Walter Herzog an seine Pforte klopfte, war es um diesen Vorsatz geschehen. Ein Glück, so kann das Potsdamer Publikum jetzt in einem idealen Ambiente auf drei Etagen ordentlich „Romantik tanken“.
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Eigentlich wollte Geschäftsführer Torsten Rüdinger in der Historischen Mühle vorerst keine Ausstellungen mehr zulassen, doch als das Berliner Künstler-Ehepaar Christine und Walter Herzog an seine Pforte klopfte, war es um diesen Vorsatz geschehen. Ein Glück, so kann das Potsdamer Publikum jetzt in einem idealen Ambiente auf drei Etagen ordentlich „Romantik tanken“.
Fast 90 Stiche und Federzeichnungen aus Walter Herzogs eigener Hand laden dazu ein, alte Mühlen mit ihren Wasserrädern, dunkle oder lichte Hohlwege, Tore und Pforten, steinige Strände und jede Menge Bäume zu bestaunen. Seit seiner Caputher Schau vor drei Jahren sind neue Motive hinzugekommen: Zeichnungen junger Menschen, reizvolle Einblicke in die Potsdamer Parklandschaft, während seine unmittelbare Lebenswirklichkeit von Berlin-Mitte wie immer außen vor bleibt. Der gelernte und promovierte Architekt des Jahrgangs 1936 ist als bildender Künstler von der „Dresdener Schule“ Georg Nerlichs geprägt, sein grafisches Schaffen – und damit der typisch Herzogsche „Blick in die Landschaft“ – von Falko Warmt. Daneben studierte und kopierte er in den Museen die Werke der Alten, wie diese es einst selber praktizierten. Maxim Shagaev tat bei der Vernissage auf seinem Knopf-Akkordeon desgleichen, als er Bach und Vivaldi zu aller Erstaunen wirklich kongenial und erfrischend interpretierte.
Diese Optik hat es in sich, denn bei Walter Herzog weiß man nie genau, was man sieht. Ist jene Mühle im Bau oder verrottet, was zeigt das offene Tor an einem längst zerfallenen Zaun oder die ins Nichts führende Steintreppe an? Sein Oeuvre weist ihn als letzten Romantiker aus: Nichts ist ohne doppelten Boden, alles ist Abbild und Denkwerk zugleich, Frage und Antwort – die reinste Metaphysik! In den mit Sisyphos-Geduld gestochenen Grautönen erscheinen Natur wie Kulturzeugnis – der knorrige Eichenbaum, ein steinigter Strand, die brüchige Mühle – in unauflösbarer Ambivalenz von Vergängnis und Werden. Kaum festzustellen, ob all die blatt- und blumenlosen Dinge in seinen stummen Landschaften leben oder sterben wollen. Wer durchschritt sie? Selbst die Konterfeis der Familie wirken fern und einsam. „Weiblicher Akt“ etwa blickt, am Betrachter vorbei, versonnen ins Leere.
„Gemüt zu Gemüt“ ist wohl die Bindungsformel zwischen Künstler und Rezipient. Die Berliner Laudatorin Marie Luise Rohde nannte nicht umsonst Novalis, Schlegel und den Maler Friedrich als geistige Vorbilder dieses genialen Radierers. Seine Technik ist vollendet, der Bildaufbau meist brillant, die Optik oft faszinierend. Er gibt das Belvedere aus der (auch noch gespiegelten) Froschperspektive wieder, lässt bei seiner „Allee nach A.“ Geäst aus dem oberen Bildrand wachsen, während auf anderen Arbeiten ein breiter Rand des Druckpapiers frei bleibt. „Flußlauf mit Bäumen“ und „Parkpartie“ nutzt sogar eine Blende nach Art der heiligen Geometrie: Kreis schließt Quadrat, dieses erst das Motiv.
Neben dem Stichel liebt er Feder und Bleistift, koloriert gelegentlich oder wählt Sepia. Nur wenn der Künstler seine bewährten Formate zugunsten größerer Formate verlässt, verschwimmt der Kontrast, die Wirkung verliert sich. „Vergängliches festhalten, Schönes bewahren und erzeugen“? Ach was, Archetypen vergehen doch nicht. Nur der Blick auf sie mag vage werden, durch Einsamkeit und in Melancholie – als ob sie verschwänden. Als ob! Dieser Letzte wird der Erste sein. Gerold Paul
Bis Anfang September in der Historischen Mühle Sanssouci, 10 bis 18 Uhr täglich
Gerold Paul
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