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Kultur: War er wirklich ein Komponist?

Zwei Konzerte mit Werken von Wilhelm Kempff im Kutschstall gaben die Antwort

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Bei der Aufnahmeprüfung an der Königlichen Hochschule für Musik in Berlin konnte der neunjährige Kandidat diverse Präludien und Fugen aus Bachs „Wohltemperiertem Klavier“ auch auswendig transponieren. Ein angehender Komponist, der sich da präsentierte? Nicht unbedingt, denn Wilhelm Kempff bereitete sich danach strebsam auf die Pianistenlaufbahn vor, ohne das Komponieren je ganz aufzugeben.

Dass er in beiden Tätigkeiten auch die Kunst der Bearbeitung beherrschte, zeigt sich beispielsweise in seinen Einrichtungen von Bachs Sinfonia aus der Ratswahl-Kantate „Wir danken dir“ BWV 29, von zwei Choralvorspielen und der Klage des Orpheus aus Glucks Oper „Orpheus und Eurydike“ für’s Pianoforte. Zusammen mit der poetischen „Italien-Suite“ op. 68 erklangen sie in einem Konzert zu Ehren von Wilhelm Kempff (1895-1991), das der Förderverein zur Pflege der Kammermusik in Potsdam in Zusammenarbeit mit dem Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte am Sonnabend im übervollen, akustisch vorzüglichen Kutschstall ausgerichtet hatte.

Die türkische Pianistin Idil Biret, Meisterschülerin des Starpianisten, griff bei ihrem Klavierabend auf höchst staunenswerte Weise in die Tasten. Kraftvoll und strukturenklar, dann wieder nüchtern und undifferenziert im Anschlag, romantisierend und tastenflink spielte sie die Bach-Gluck-Bearbeitungen: in einem Ritt, zu laut, dem Raum nicht angemessen. Wie ohrenerholsam dagegen die klangfiligrane Wiedergabe der gefälligen, von mediterraner Heiterkeit erfüllten tonmalerischen Italien-Impressionen. Da konnte Idil Biret die vom Lehrer gelernte Spielkunst gebrochener Farben und von Zwischentönen eindrucksvoll vorführen.

Um sich allerdings in Franz Liszts h-Moll-Sonate erneut als eine technisch überaus versierte, jedoch muskelprotzende Fortissimospielerin auszuweisen. Gleich einer Tastenlöwin zeigte sie Krallen und fauchte furios, als gelte es den Nachwuchs vor Feinden zu schützen. Hämmernd beschwor sie Dantes Inferno, fand aber auch zu lyrischer Besinnung. In der feurigen und fugierten Oktavenstretta des Finales setzte sie von neuem auf tastatierende Kraftmeierei. Ebenfalls als Virtuosenfutter betrachtete sie Liszts Stücke „Gondoliera“ und „Tarantella“ aus dem Triptychon „Venezia e Napoli“, die sie mit ausgeprägtem Sinn für glitzernde Triller- und Passagenketten zu rasanten Tastentänzen gestaltete. Dass Idil Biret bei Liszts vollgriffiger Konzertparaphrase von Wagners „Tannhäuser“-Ouvertüre mit lustvoll vorgezeigter Virtuosenattitüde brillieren würde, verstand sich von selbst. Sie wurde anhaltend gefeiert.

Tags darauf lud die Kammerakademie Potsdam an gleicher Stätte zum alleinigen Kennenlernen einiger kammermusikalischer Produkte von Wilhelm Kempff. „Ein pianistischer Weltstar war er zweifellos“, stellte zu Beginn Werner Grünzweig, Leiter des Musikarchivs der Akademie der Künste Berlin und Verantwortlicher der Kempff-Ausstellung im Kutschstall, fest. „Doch war er wirklich auch ein Komponist?“ Das Konzert versuchte es zu ergründen. Im Mittelpunkt standen Liedvertonungen auf Texte von Conrad Ferdinand Meyer, Goethe und Michelangelo. Sie entstanden 1946/47, als der Pianist Auftrittsverbot wegen seiner Nähe zur nationalsozialistischen Kulturpolitik hatte. „Durch das Komponieren fand er zurück zur Musik, zu sich, zur Welt“, so Grünzweig. Nicht nur in den Liedern, die sich balladesk in Wolfscher Manier zeigen, voll brahmsnaher oder schumannesker Pathetik tönen, offenbarte sich brennglasgleich Kempffs Beherrschung des entsprechenden handwerklichen Rüstzeugs und eines durchweg romantischen Stilempfindens. Der Baritonlyriker Wolfgang Holzmair trug sie kraftvoll und verhalten, stets gestaltungsintensiv vor. Er erwies sich von Anfang an als ein begnadeter, weil sinnausdeutender und wortmodellierender Liedgestalter, kurzum als ein singender, enorm textverständlicher Erzähler. In Russel Ryan hatte er einen exzellenten, impulsgebenden und stimmungsmalenden Klavierbegleiter zur Seite. Solistisch brillierte er u.a. mit nuancierten Anschlag zwischen knorrig und basslastig („Die alte Eiche“) sowie schneeflockenwatteweich („Wegweiser im Schnee“) und dem lisztmanieristischem Rhapsodischen Präludium op. 44 voller akkordischer Attacken.

Als redseliges, rhetorisch herbes Werk entpuppte sich das Quartett G-Dur op. 15, das von Li-Chun Su (Klavier), Bettina Lange (Flöte), Barbara Duven (Violine) und Jan-Peter Kuschel (Cello) hingebungsvoll musiziert wurde. Leise klang’s am Schönsten, doch blieben solche Momente leider rar. Da die einzelnen Instrumentalstimmen nebeneinander stehen und sich, bis auf das kapriziöse Scherzo, nicht zum Ganzen fügen, beantwortete sich die gestellte Grünzweig-Frage eindeutig mit „nein“. Kempffs amateurhaft wirkenden Erfindungen fehlt es schlichtweg an zündenden, überzeugend verarbeiteten Einfällen. Peter Buske

Peter Buske

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