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Kultur: Wärme und Wums

Enrico Rava und Kollegen großartig im Nikolaisaal

Stand:

War es die Liebe zum Jazz, die einen in dieses Konzert trieb? Oder weil man der Musik von Michael Jackson nachtrauerte? Oder war es die Neugier, weil es schwer vorstellbar schien, dass ein 74-jähriger Italiener mit einer elfköpfigen BigBand den Crossover wagen könnte zwischen dem Überperfektionisten des Hollywood-geprägten Musikgeschäfts, dem King of Pop, dem genialen Kindskopf – und der doch allem zugrunde liegenden Urform dieser Musik, dem Jazz, der Musik auch seiner Väter?

„Rava on the Dance Floor“ im Nikolaisaal war ein geniales Konzert, ein Konzertereignis, ein Erlebnis für die, die da waren, und leider haben sich einige diesen Genuss entgehen lassen, vielleicht weil die Potsdamer Jazztage Samstagabend zu viel Schönes zeitgleich im Angebot hatten. Am Ende hatten alle ihren Spaß, die Liebhaber des Jackson-Erbes und die Jazzpuristen und am meisten wohl das beeindruckende Dutzend auf der Bühne.

Ganz klar im Mittelpunkt standen die Bläser, Trompeten, Posaune, Saxophone, Tuba, Querflöte. Das brachte Wärme und Wums gleichermaßen, karibisches Bauchgefühl. E-Gitarre und Bass hoben den Rock’n’Roll-Anteil, Piano und Keyboard ließen schweben, hielten zusammen. Großartig auch das Doppelpack Trommler und Percussionist. Vor allem großartig das Zusammenspiel, feinfühlig dirigiert vom Arrangeur Mauro Ottolini, was aus dem Konzert eine fein choreografierte Veranstaltung machte – trotz des großen Freiraums für die einzelnen Musiker.

Michael Jacksons Musik wurde so im Laufe des Abends immer wieder neu verpackt, manchmal bis zur Unkenntlichkeit, dann nahm das Orchester Fahrt auf, bewegte sich in ganz eigene Fahrwasser. Die Motive der großen Hits wurden zum Spielzeug, entfremdet, vergessen, wieder hervorgeholt, neu gezeichnet. „Thriller“ und „Blood on the Dance Floor“ als Jazz-Improvisationen – dafür gab es Beifall. Mal schob die breite Bläserfront, mal war es ein verspieltes Kling-Klang, mal wähnte man sich mit quäkenden Trompeten und gezupftem Bass in einer Jazzspelunke der 30er-Jahre. Falls nicht sogar allein der Posaunist ohne Mundstück spielte – und plötzlich nur noch ein leiser Windhauch übrig blieb.

Am Ende zeigte sich Rava richtig verspielt: „History“ wurde zu einem völlig verrückten Medley, in das auch Artfremdes Einzug fand, Klassik und Filmmusik vieler Jahrzehnte, hochprofessionell und schräg zusammengebastelt, unter Ausnutzung aller Stil-Sollbruchstellen – ein Genuss.

Dabei blieb Enrico Rava stets bescheiden. „Ich hoffe, dass Ihnen das jetzt gefällt“, kündigte er seine Musik an. Zwischendurch trat er beiseite, lehnte am Flügel, wurde selbst zum Zuschauer und Zuhörer. Rava, seit Mitte der 60er-Jahre international unterwegs und bekannt, versteht sich mittlerweile als Mentor der italienischen Nachwuchs-Jazzszene. Die Idee zu dem Michael-Jackson-Projekt entstand erst nach dem Tod des amerikanischen Sängers.

Was Rava daraus machte, welchen neuen Zugang – zum Jackson-Pop als auch zur Vielfalt der Welt des Jazz – er den Zuhörern eröffnete, war verblüffend. Was so spielerisch aussah, war dennoch eine hochkonzentrierte Performance, und so ähnelten sich beide Künstler am Ende doch. Auch Michael Jackson hatte kein Sekündchen, keinen noch so kleinen Schritt dem Zufall überlassen. Steffi Pyanoe

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