Kultur: Was nach der Arbeit kommt
After-Work-Party in der Seestraße
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After-Work-Party in der Seestraße Wenn am Tag, an dem die Zahl der Arbeitslosen in diesem Land offiziell die magische Grenze von fünf Millionen überschritten hatte, eine „After-Work-Party" veranstaltet wird, wie im Künstler- und Gründerzentrum in der Seestraße, dann muss der Begriff natürlich eine ganz neue Konnotation erhalten. Früher, in den vergangenen, goldenen Zeiten, bedeutete er, man arbeitete – wie gewöhnlich – bis in den Abend hinein, und nahm dann die gute Laune aus seinem erfolgreichen Start-up-Unternehmen direkt mit an die Bar, wo mit anderen smarten Jungunternehmern, alle unter dreißig, die guten Deals gefeiert wurden. „Nach der Arbeit“, so wie in der Interpretation des kreativen Unruheherds in der Berliner Vorstadt, kann aber auch meinen: Aufbruch in einen Lebensabschnitt, in dem man von der Existenz des Phänomens „Arbeit“ allenfalls aus Erzählungen erfahren hat. After-Work-Party, nach diesem Verständnis fragt also, was das Leben noch zu bieten hat. Die Muse, die Künste, das Erkunden des Ichs. Michael Esser, einer der drei Gründer des Zentrums, ermöglicht seinen Mietern passenden Raum für diese Überlegungen. Daher wurde zur Party mit den Potsdamer HipHoppern von „Triangle“ geladen. In seinem Café hängen IKEA-Nachttischleuchten umgekehrt von der Decke. Darunter lassen sich Lebensentwürfe auf den Kopf zu stellen und Ego-Konzepte prüfen. Esser bietet an seinem Tresen die schon legendären Muffins an, solides Fingerfood ohne Lifestyle-Gehabe. Man spricht über die Vorteile eines Wohnsitzes in der Toskana, und dass Einstein auch Mystiker und Astrologe war, was kaum jemand weiß. Die drei jungen Musiker im Nachbarraum bereiten sich in der Zwischenzeit auf ihren Auftritt vor. Auf eine Schultafel, die noch an die Vornutzung des Gebäudes als Schulungshaus erinnert, werden Graffitis mit Kreide gemalt. „After-Work" hat man Gelegenheit, einen Blick auf die sonst hermetische Jugendkultur zu werfen. „Water“, „SKOB“ und „Suicide“ heißen die Rapper. „Water“, das liegt im Namen, sorgt als Sänger für den „Flow“, damit der deutsche Sprechgesang ordentlich fließt. Er sagt: „SKOB baut die Beats.“ Der hockt vor einem Bildschirm und steuert die „Samples“, vorproduzierte Musikstücke, die aus einem offenen PC-Gehäuse kommen und den Rap untermalen. „Suicide“, der dritte im Bund, ist für die englischen Textpassagen zuständig. „Selbstmord“ klingt lange nicht so bedrohlich. Mit Basecap, bald knielangem Trikot und fetter Silberkette bringt er Gewicht auf die Bühne. „Triangle“ hat gut zwanzig Freunde mitgebracht, die gerne antworten, als „Water“ fragt: „Yeah, Potsdam, seid ihr da?“ Da muss man doch ein wenig schmunzeln. Nebenan im Café fühlt man sich in dieser fröhlichen Jugendgesellschaft ein bisschen wie auf einem Elternsprechtag in der Schule. Im Zeitalter, das nach der Arbeit folgt, zählen nur die eigenen Ideen und die Kinder. Auch das verspricht Profit. matthias Hassenpflug After-Work-Party mit wechselnden Live-Bands an jedem ersten Mittwoch im Monat.
matthias Hassenpflug
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