Kultur: Was von der Bruderhilfe übrig blieb
Abend im Waschhaus zu DDR-Vertragsarbeitern
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Ein Filmkonzert über Migration in der DDR – was soll das sein? Anscheinend etwas so Abschreckendes, dass trotz freien Eintritts gerade mal eine Handvoll Besucher am Donnerstagabend zu „Völkerfreundschaftswerke“ ins Waschhaus kamen. Grund genug also für reichlich Häme in Richtung der unentschlossenen Fernbleiber, die etwas Grandioses verpasst haben. Denn spannend war diese Collage aus Film und Musik ohne Frage: Der Dokumentarfilm von Benjamin Schindler über Migranten aus den „sozialistischen Bruderländern“, die ab Ende der 60er-Jahre scharenweise in die DDR verfrachtet wurden – aus Mosambik und Vietnam, Angola, Kuba, Ungarn und Polen – wurde komplettiert durch den Sound der Band shortfilmlivemusic: ziemlich komplexe, aber gleichzeitig reduzierte Kompositionen mit Saxofon, Horn, Schlagzeug, E-Gitarre und – wie eine feine Ironie im sozialistischen Kontext – einer Blockflöte.
Die Bilder wirkten durch die schräge Musik noch stärker: Im seltsamen Farbton der DDR-Filme, dunkel und pixelig, aber dennoch nah und intensiv, sah man Dampfloks in den Berliner Ostbahnhof einfahren, Werksarbeiter in Schlachtereien, junge Afrikaner beim Schlittenfahren. Die aktuellen Szenen, in denen hiergebliebene Gastarbeiter aus ihrem Leben erzählen, sind dagegen gestochen scharf.
Die Arbeiter wurden damals ganz gezielt angeworben, aus Hanoi sogar in tagelangen Zugfahrten hergebracht und hatten oftmals keine Ahnung, was sie erwartet: Im ostdeutschen Winter wurden sie teilweise mit Decken und warmen Getränken empfangen. Willkommen waren die Immigranten aus den sozialistischen Bruderländern schon – aber mit Einschränkungen: Persönliche Kontakte zu Einheimischen waren nicht erwünscht – und das wurde auch explizit so kommuniziert. Kein Moped fahren, nicht in die Kneipe, keine langen Haare – und so schnell wie möglich wieder verschwinden.
Und als Mosambikaner gefragt zu werden, ob man dort auf Bäumen schlafe, war nur im ersten Moment witzig, erinnert sich einer. Denn schnell stellte sich heraus, dass den DDR-Bürgern das Bild eines afrikanischen Kontinents zwischen Katastrophen und Krieg kommuniziert worden war, das gar nicht der Realität entsprach – so sollte schlicht Solidarität generiert werden. Dass diese Menschen ausgebeutet wurden – bis zu 60 Prozent des vereinbarten Lohnes wurden einfach einbehalten –, bekamen viele nicht mit. Die Überraschung für die 94 000 Vertragsarbeiter in der DDR kam mit der Wende: Zur Rückkehr reichte das Verdiente, nicht aber, um sich in Vietnam oder anderswo eine neue Existenz aufzubauen. Also blieben einige und wurden mit der hässlichen Fratze des zusammengebrochenen Bruderstaats konfrontiert: dem Ende der Willkommenskultur für die fortan als „Fidschis“ geschmähten Gastarbeiter. Nach jahrelanger verordneter Bruderhilfe erstarkte der Nationalismus eben nicht nur am Bahnhof Dresden-Neustadt oder in Rostock-Lichtenhagen. Oliver Dietrich
Oliver Dietrich
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