
© Andreas Klaer
Von Almut Andreae: Wege der Wahrnehmung
Raum und Architektur aus der Sicht bildender Künstler. In „Site“ kooperieren der Kunstraum und die Bundesstiftung Baukultur
Stand:
Ist er verschlossen? Ist er offen? Ist er groß? Ist er klein? Wie ist er? Fünf Fragen, auf die rund 200 weitere unmittelbar folgen. „213 Fragen den Raum betreffend“ hat die Künstlerin Tina Schulz ihre Videoarbeit genannt. Es braucht eine gute Stunde, bis die 213 Fragen mit säuberlicher Handschrift auf ebenso viele blütenweiße Seiten geschrieben sind. In der Ausstellung „Site“, die am Samstagabend im Kunstraum Potsdam eröffnete, stimmt die Videoprojektion in das Anliegen der Ausstellung ein. Vierzehn Künstlerinnen und Künstler sensibilisieren in ihren Beiträgen dafür, wie vielfältig Räume und Architektur auf uns wirken. Initiator des Ausstellungsprojekts ist die Bundesstiftung Baukultur. In Kürze wird sie ihren neuen Sitz in direkter Nachbarschaft zum Kunstraum beziehen. Im Zusammenhang dieser ersten Kooperation zwischen Stiftung und Kunstraum erwickelten dessen künstlerische Leiterin Katja Dietrich-Kröck und Gastkuratorin Catherine Nichols das Ausstellungskonzept. Die unterschiedlichen Sichten und Interpretationen der Künstler auf Raum und Architektur fügen sich zu einem abwechslungsreichen Parcours.
Für den Besucher beginnt er in Gestalt einer silbrig schimmernden, mehr als mannshohen Box. „Devil’s Chrome“ hat Christel Fetzer die außen komplett mit Spiegelfolie verkleidete Transportkiste im Großformat getauft. Das Spiel mit der Illusion und Irritation ist Teil des Vergnügens. „Spiegelung“, so die Künstlerin, „ist wie ein stolpriger Film“. Das Erlebnis von Raum ist bekanntermaßen auch etwas ganz und gar Physisches. Das führt der 16-Millimeter-Film „Hand-Wall“ von Gwenneth Boelens genauso vor Augen wie Constantin Wallhäuser in seiner Rauminstallation „OK“. Bei dieser gibt ein selbst gezimmerter Lattenzaun den Vordergrund ab für eine Videoprojektion in Lebensgröße. In einem endlosen Loop balanciert ein Mann ohne Kopf über eine Schattenvariante des realen Lattenzauns. Das Ganze erhält, vor allem mit Abstand betrachtet, die Anmutung eines bewegten Scherenschnitts. Sphärische Musik, eingesetzt als Klangkulisse, kokettiert mit der Nostalgie eines Stummfilms.
Ganz und gar bodenfest dagegen bilden mehrere neongrün glimmende Kugeln dazu einen markanten Kontrast. Claudia Schmacke hat für ihre Installation „Shift“ ein Gemisch aus Wasser und Luft in durchsichtige Kunststoffschläuche gegeben, vorher das Wasser mit einem fluoreszierenden Pigment versetzt. Die Schläuche sind zu unterschiedlich großen Knäueln miteinander verflochten. Durch einen Pumpmechanismus gerät das Wasser-Luft-Gemisch in Bewegung. Die Erzeugung von Schwingung und Vibration gehört ebenso zum Konzept wie die Offenlegung der Technik. In diesem Zusammenspiel wirkt „shift“ als räumliches Szenario wie ein in sich geschlossener, faszinierender Organismus.
Ein Geflecht weißer Linien im größten Ausstellungsraum bildet zu den fluoreszierenden Kugeln einen reizvollen Kontrapunkt. Für diese Bodenzeichnung hat die Berliner Künstlerin Kati Gausmann 300 bis 350 Mal Umrisse unterschiedlich großer und schwerer Stoffe mit weißer Wachskreide konturiert. Für jeden Umriss ließ sie zuvor einen Stoff zu Boden fallen. Mit der Frage, wie Bewegung Form gebiert, beschäftigt sich die Bildhauerin schon lange. In der Bodenzeichnung mit dem Titel „haufen“ erschafft sie in der Fläche eine quasi plastische Form. Durch die Abstraktion von Bewegung in ein Geflecht aus Linien ist ein ganz eigener Raum entstanden. Als Raum im Raum bündelt sie in besonderem Maße die Konzentration.
Mit leicht ironischem Unterton hat Andreas Koch für die Potsdamer Schau das Objekt „Plattenbau 10“ um die Ecke einer sonst leer belassenen Ausstellungswand herumgezogen. Aus 2000 spielzeuggroßen Fenstereinheiten ist sein Plattenbau zusammengesetzt. Hinter der Wand zeigt der Künstler eine kurze filmische Animation zum Thema „Manchmal ist es besser, zuhause zu bleiben“.
Als einziges Beispiel für Leinwandmalerei innerhalb der Ausstellung steht die Position von Werner Brunner. Bevor er sich ausschließlich der Malerei zuwandte, war Brunner als Architekt und später in der archäologischen Bauforschung tätig gewesen. In seinen Bildern „Siedlungsbau Landliebe“ und „Auf gute Nachbarschaft in der Teppichsiedlung“ übt der Maler an der Zersiedlung des Naturraums durch stupide Eigenheimbebauung unverhohlen Kritik. An der gegenüberliegenden Wand zeigt Knut Kruppa in seiner Farbfotoreihe „Begehren“ bekannte Berliner Plätze und Gebäude. Was sie verbindet, ist die vorübergehende Verhängung ganzer Fassaden oder Baugerüste durch monumentale Transparente, die dem Gebäude dahinter ein neues Gesicht aufsetzen. Was echt ist und was nicht, lässt sich auf diese Weise, zumindest von Ferne, nicht mehr ohne weiteres unterscheiden.
Längst ist der Mix aus realer und vorgetäuschter Architektur in Verbindung mit gigantisch großen Werbebannern aus den Räumen der Großstädte nicht mehr wegzudenken. Mit einer überraschenden Spielart von Raumerkundung endet der Rundgang auf der oberen Galerie. Hier hat der Künstler Florian Neufeldt für seine Arbeit „I and it, it and I“ einen Raum mit Spanplatten auf eine Höhe von kaum mehr als zwei Metern abgehängt. Der vollkommen leere Raum wird zum eindrücklichen Erlebnis, wenn man sich in ihn hineinstellt und horcht und schaut, was da geschieht.
Orte, an denen etwas passiert, die sich verändern, stehen inhaltlich im Fokus der Ausstellung „Site“. Sie bildet den Auftakt für die diesjährigen Veranstaltungen im Rahmen von Kulturland Brandenburg unter dem Motto „Licht I Spiel I Haus – Moderne in Film. Kunst. Baukultur“. In Potsdam geben unter anderem die Schiffbauergasse und die Leitbilddebatte vielfach Anlass zum Diskurs über Baukultur. Berührt sie doch immer auch das Bewusstsein für die eigene Identität.
Bis zum 27. März. Geöffnet Mi-So 12-18 Uhr, Schiffbauergasse 4d.
Almut Andreae
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