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Kultur: Weggehen und Wiederkommen

„Heimat-Bilder“ junger Potsdamer Künstler in der Landeszentrale für politische Bildung

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Heimat – was für ein Wort. Es riecht nach dem Taschentuch der Mutter, mit dem sie einem über den Mund wischte. Es klingt nach frühen Reimen, nach Kinderliedern. Dann wieder klebt es morastig an den Schuhen, macht die Schritte schwer, hindert am Fortgehen. Gut, wenn sich in solchen Momenten der Raum in die Tiefe öffnet und man nicht fürchten muss, ins Bodenlose zu fallen.

Björn Gripinski, Patrick Weiss und Stefan Lierse, drei junge Potsdamer Künstler, haben sich hineinbegeben in die Weite und in die Tiefe dieses schwer fassbaren Begriffs. Was sie vorfanden, zeigen sie in ihren „Heimat-Bildern“, die in der Brandenburgischen Landeszentrale für politische Bildung zu sehen sind. Der ehemalige Kulturminister Hinrich Enderlein, der am Dienstagabend zur Vernissage über seine Rückkehr ins heimatliche Brandenburg sprach, hält es für unerlässlich, in einer globalisierten Welt die Fragen nach dem eigenen Woher und Wohin zu beantworten. Die drei Künstler haben dies auf ihre jeweils eigene Weise getan.

Der Fotograf Björn Gripinski suchte in der Gegenwart nach Eindrücken, die er zu anderer Zeit und an anderem Ort bereits verinnerlicht hatte: kahle Wände im Krieg geschundener Mietskasernen, übrig gebliebene Möbel einer verlassenen Wohnung, geschichtete Grabsteine, deren Erinnerungszeit abgelaufen war. Sich vom Ende zum Anfang bewegend, fand Gripinski schließlich doch an den Ort seiner Kindheit zurück: eine Plattenbausiedlung in Magdeburg, die ihm heute seltsam leblos erscheint. Verwaist steht das steinerne Pferd, auf dem er von hier fortgeritten war. Und über das alte Leitungsrohr, in dem man sich gut verstecken konnte, ist längst Gras gewachsen. Dann entdeckt er aber doch Kinder, am Rande bei den Garagen, und im Gestrüpp finden sich die Reste einer Höhle. Der Wind zerrt blaues Cellophan vom Dach.

Eine Aufnahme aus der Ferne zeigt die heimatliche Siedlung auf schmaler Linie zwischen Erde und Himmel. Der legt sich schützend über die Silhouette.

In den Heimat-Bildern von Patrick Weiss hingegen leuchtet der Himmel in bösem Blau. Seine gewollt plakative, am Computer komponierte und dann auf die Leinwand übertragene Malerei konfrontiert mit befremdlichen Idyllen, wie die einheitsgraue Eigenheimsiedlung, über deren ziegelroten Dächern die Sonne in den Markenfarben eines Lebensmitteldiscounters aufgeht. Schrille Farben verstärken die stechende Symbolik. Auf dem Bild „Jet“ trifft sie als gelber, zischender Pfeil in das Ohr eines Kindes, so zielsicher, dass es beim Hinsehen weh tut. Und in „Noch sechs Minuten“ zwingt Fastfood-Hektik die Beschaulichkeit eines Familienausflugs in einen unterschwelligen Zeitdruck. Weiss, der in Westberlin aufwuchs und nun in Potsdam lebt, befragt nicht Vergangenheit. Seine Heimat-Bilder spielen im Heute.

Dagegen machen sich die fragmentarischen Zeichnungen von Stefan Lierse wie Erinnerungsschemen aus. Auf nicht ganz weißem, vergilbt wirkendem Papier erscheinen sie wie die sorgsam gefertigten Illustrationen aus den ersten eigenen Lesebüchern: ein Kahn auf der Elbe, das Gesicht einer Matrjoschka, Schafe, ein übers Feld ackernder Traktor, russische Kosmonauten. Lierse ging zur Schule, als es für die „Heimatkunde“ noch ein eigenes Fach gab und im Musikunterricht „Die Heimat hat sich schön gemacht“ gesungen wurde. Und er gehörte der letzten Generation an, die den Eid leistete, die Heimat DDR mit der Waffe in der Hand zu verteidigen. Letzteres hinterließ stärkste Eindrücke, die sich in einer Zeichnung von in Reih und Glied angetretenen, dabei völlig in sich gekehrten Soldaten niederschlugen. Lierse gibt in seinen Arbeiten stille Hinweise, lässt ansonsten aber viel Raum, die der Betrachter mit den eigenen Heimat-Bildern füllen kann. Zur Vernissage gab Filmkomponist Peter Gotthardt akustische Assoziationshilfen: eine kontrastreiche Toncollage aus Ufa-Schlagern, Marschmusik, Glockenspiel, Hymnen, HipHop, Kinderliedern und eingesprochenen Heimatdefinitionen – Potsdamer „Heimatklänge“ eines ganzen Jahrhunderts.

Landeszentrale für politische Bildung, Mo-Mi 9-18 Uhr, Do/Fr 9-15 Uhr, bis 15.6.

Antje Horn-Conrad

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