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Kultur: Weggesprengte Klischees

Helena Waldmann zeigt ihre „BurkaBondage“ am Donnerstag bei den Tanztagen in der „fabrik“

Stand:

Innerhalb der Tanztage wird am Donnerstag in der „fabrik“ Ihr Stück „BurkaBondage“ aufgeführt, das neben der „Verlorenen Generation“ in Japan die Situation der Frauen in Afghanistan thematisiert. Berührt Sie die aktuelle Diskussion in Belgien über das Verbot der Burka?

Natürlich. Ich halte von Verboten gar nichts. Man sollte Dinge nicht verbieten, sondern schauen, was hinter der Fassade steckt. Was würde es bedeuten, den Frauen ihre Burka wegzunehmen? Die Europäer sprechen von Ganzkörpergefängnissen. Doch hätten die Frauen ihre Burka nicht, würden sie wieder zurück ins Haus verbannt. Die Burka ist für sie ihr „mobiles Haus“, das ihnen die Möglichkeit gibt, überhaupt am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Ich sage immer, sie leben „inkognito“, und das kann auch positiv sein. So wie wir es vielleicht vom Karneval kennen, wo wir auch eine bestimmte Form von Freiheit leben. Burka heißt indes nicht Freiheit. Aber sie bietet eine bestimmte Form davon. Um das zu begreifen, muss man den Druck der Gesellschaft kennen und wissen, wie stark die Kontrolle dort ist.

In der Türkei demonstrieren Frauen dafür, dass sie ihre Kopftücher tragen können. Für uns unvorstellbar.

Wir haben nicht ihre Kultur, nicht ihren Glauben. Doch wir schauen auch nicht über unseren Tellerrand und kommen dann mit Verboten angelaufen.

Der Titel Ihres Stücks klingt provokant.

Ganz bewusst. Burka und Bondage sind Reizwörter. Die Bondage verbinden wir gern mit Sado-Maso-Praktiken zur sexuellen Stimulation. Aber man kennt die Bondage schon von den Samurai, um Gefangene zu fesseln. Und auch von den Kimono-Bondagen, die nicht nur einengen, sondern auch Halt geben.

Sie arbeiten in Ihrem Stück mit einem Fallschirm. Was bedeutet dieses Bild?

Ich sah in Kabul viele Kinder, die wie in dem Film „Drachenläufer“ ihre bunten Drachen steigen ließen. Ein kleiner Moment von Spaß. Bei mir schwebt eine Tänzerin glückselig am Fallschirm, den eine andere Tänzerin wie einen Lenkdrachen manövriert. Doch was ist, wenn mich mein Gegenüber fallenlässt? Wie erreiche ich es, den anderen wahrzunehmen, ohne meine Projektion auf ihn zu setzen?

Wird in „BurkaBondage“ eine Geschichte erzählt?

Nein, es ist eher ein freies Assoziieren ohne Worte. Am Anfang sieht man eine Geisha, die schreckliches Karaoke singt, sowie eine Frau in roter Burka, die afghanische Lieder vorträgt. Ein Spiel mit unseren Klischees. Und da hole ich das Publikum ab. Doch diese Klischees werden weggesprengt wie die Buddhas von Bamiyan. Körper werden nicht mehr zugelassen. Wir benutzen zwar nicht die realen Bilder der Sprengung von 2001, aber unser Videokünstler hat sie animiert. Man hört den Schreckensmoment der Detonation, sieht, wie die beiden Frauen versuchen, Halt zu finden, wenn der Boden unter ihnen wegrutscht.

Sie gaben vor zwei Jahren abwechselnd in Japan und in Afghanistan Theaterworkshops und stellten gewisse Parallelen in der Abkehr von der Gesellschaft zwischen diesen uns so entfernt scheinenden Welten fest. Ist es nicht überzogen, sie in einem Stück zusammenzubringen?

In beiden Gesellschaften spürte ich die Tendenz, dass sich die Menschen aus der unerträglich empfundenen Situation zurückziehen, sie dem Zuviel des Drucks und Funktionieren-Müssens fliehen. Das Außen ist so unaushaltbar, dass man nur den Weg des Rückzugs sieht, das Verschwinden unter Stoff oder hinter Wänden oder sogar im Tod. Japan hat eine große Selbstmordrate. Während man in Afghanistan von der „Generation Rain“ spricht, die den Boden bewässern will, nachdem er nach 30 Jahren Krieg zu Staub wurde, aber noch immer tief in den Verkrustungen steckt, spricht man in Japan von der „Lost Generation“. Hochintelligente Menschen wagen sich Jahrzehnte lang nicht vor die Haustür und schaffen sich so auch eine Burka. Sie können mit dem Außen nicht mehr umgehen, mit dem, was die Gesellschaft vorgibt, wie man zu sein hat. Phänomene, die längst bei uns angekommen sind: das nicht mehr übereinkommen mit der Gesellschaft. Da halte ich auch uns den Spiegel vor.

Gibt es denn in der jungen Generation kein Aufbegehren?

Junge Japaner verweigern sich durchaus dem Wahnsinn, den die Eltern und Großeltern leben, die mit ihren Firmen geradezu verheiratet sind. So wurde mir erzählt, wie sich in der U-Bahn ein junger Mann mit Benzin übergoss und selbst angezündet hat. Ein extremer öffentlicher Hilferuf. Vielen jungen Leuten ist das Arbeiten heute nicht mehr so wichtig. Sie versuchen, alternative Lebensentwürfe zu finden. Andererseits gibt es wahnsinnig viele Arbeitslose. Überall in den Straßen und am Fluss stehen blaue Zelte, in denen sie campieren, manche spannen Regenschirme als Sichtblenden auf, um sich vor den Blicken der Touristen zu verstecken. Es ist schockierend. Die Japaner erkennen inzwischen, dass es keine Sicherheit gibt, auch wenn sie extrem viel gearbeitet haben.

Der scheinbare Halt von der Wiege bis zur Bahre als Trugschluss?

Ja, auch wenn manche Firmen sogar Friedhöfe für ihre Mitarbeiter anlegen. Es gibt aber auch ganz gruselige Verpflichtungen, dass man zum Beispiel mit den Kollegen nach der Arbeit trinken zu gehen hat. Die Männer haben kaum noch Zeit für die Familie und der Alkoholkonsum ist immens.

Und Afghanistan? Gibt es dort Lichtblicke?

Dort sprießen jedenfalls Theater wie Pilze aus dem Boden, Frauen bilden eigene Gruppen, obwohl das oft lebensgefährlich ist. Ein Mädchen in meinem Workshop erzählte, dass es die Onkel väterlicherseits sind, die Mädchen umbringen, wenn sie Theater spielen. Für sie ist das ein Zeichen anrüchigen Lebens und von Prostitution. Dennoch nehmen Frauen die Gefahr in Kauf, weil sie endlich ausdrücken können, was sie fühlen. Und die Zuschauer verstehen alles, was auf der Bühne gesagt wird, auch wenn nur verschlüsselt zwischen den Zeilen „gesprochen“ wird. Ich arbeitete zu „BurkaBondage“ mit einer afghanischen Regisseurin zusammen und sie betonte, dass sie sich diese Sprache nicht mehr verbieten lässt. Trotz Verbots inszeniert sie sogar ein sehr körperbetontes Theater. Bei ihr stehen aber Mann und Familie dahinter. Doch auch sie bekommt Drohbriefe.

Was kann nach solchen intensiven Erfahrungen, die Sie zuvor auch schon in Ihrem Iran-Projekt erlebten, für Sie als Choreografin noch kommen?

Diese Arbeiten ziehen sich in meine Biografie tief hinein und sind eine einschneidende Erfahrung, die man nicht abschütteln kann. Aber ich habe schon immer über Rückzüge gearbeitet und versucht, etwas sichtbar zu machen, indem man es erst einmal verbirgt. Mein nächstes Thema ist das Vergessen.

Das Interview führte Heidi Jäger

Helena Waldmann,

geboren 1962,

studierte in Gießen Theaterwissenschaft, lernte ihr Handwerk u.a. bei Heiner Müller, George Tabori und Gerhard Bohner und führt seit 1991 Regie.

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