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Glaubensbekenntnis oder bloße Folklore? Festlich ist sie geschmückt, die Kirche am Heiligen Abend.

©  Jens Schlueter/dapd

Kultur: Weihnachten in die Kirche?

Viele Menschen zieht es am Heiligen Abend in die Gotteshäuser - Zwei Ansichten über Sinn und Unsinn solcher Rituale

Stand:

Lassen wir mal die Juwelenbringer und alle Geschenkebesorger beiseite und reden zu Weihnachten von Herz und Seele und von den Gründen zum Fest. Angeblich soll es Liebe und Frieden bringen und Wohlgefallen verbreiten, aber ein Blick in die Landschaft zeigt, dass es mit alldem nichts ist. Den säkularisierten Menschen macht das nichts aus, merkwürdigerweise aber auch vielen Christen nicht. Die rennen oft wie die anderen auch zum heiligen Anlass gleich scharenweise in die Kirchen und kommen genau so wieder heraus und denken und reden nicht anders als jene, die auf Laptops und Juwelen setzen, „weil Weihnachten ist“. In den proppevollen Häusern Gottes hörten sie geheimnisvolle Worte wie „frohe Botschaft“, „Erlöser“ und „Heiland“ und wenn sie beim Absingen gefühliger Lieder der Vorzeit feuchte Augen bekommen, dann halten sie es für ein Zeichen der Liebe. Stimmt aber nicht, es war nur wieder mal das Gemüt! Den lichterseligen Tannenbaum im heiligen Raum dürfte solches Gebaren freuen, verkörpert er doch die direkte Konkurrenz zur jährlichen Neugeburt des Christkindes.

Wenn das fromme Weihnachtsvolk also genauso aus einer Andacht herausgeht, wie es hineinkam und keine frohe Botschaft es verändert hat, fragt man schon nach dem Grund für so viel durchschlagende Wirkungslosigkeit. Nun wäre gegen eine persönliche Annäherung an das christliche Weihnachtsfest weiß Gott nichts einzuwenden, nur sollte man dabei den eigenen Kopf benutzen. Die Frohe Botschaft ist zuerst für Christen bestimmt, nicht für katechesetreue Puppenstuben-Gemüter, die Jesus und Maria Jahr um Jahr irgendwo ein Eckchen reservieren. Diese existentielle Botschaft setzt allerdings ein Denken voraus: Dass es mit dem Oben und Unten auch Himmel und Hölle gibt und dem Widersacher Gottes jene Erde gegeben ward, darauf es sich der Mensch derzeit noch gutgehen lässt. „Christ ist geboren“ heißt demnach, nicht „ach, wie ist das Knäblein niedlich“ – bei Cranach sieht es anders aus –, sondern: Allein durch ihn kommen wir weg von diesem Stern aus Krieg, Betrug und Lügen! Denn wer wirklich „erlöst“ werden will, sollte doch wissen, warum er sich genau wie ein Kranker seiner Leiden bewusst werden muss. Aber solche Denkstrukturen sind dem Gläubigen von heute oft genauso fremd wie das Wort Anbetung, also die bewusste Unterwerfung unter den Willen eines anderen. Dafür ist in unserem Reich der Freiheit einfach kein Platz, im Herz des bildungshungrigen Wohlstandsbürgers erst recht nicht.

Steht nicht geschrieben: Verkaufe all dein Gut und folge mir nach? Dem Wohlstandsbürger wird aber der schöne Planet gepredigt, die Nichtexistenz von Sünde und dass mit dem Tod alles endet. Jesus, der „Menschensohn“, ist für sie wie das Baby gleich um die Ecke. Schon ist die „Frohe Botschaft“ dahin. Keiner hört sie, niemand empfängt sie. Diese Kirchgänger verstehen nicht, dass das Neue Testament weder als Ablass zum Seelenheil taugt, noch zur Erbauung jenseits ihres Feiertags-Bäuerchens. Von seinen spiritualistischen und kosmischen Aspekten ganz zu schweigen. Es erscheint uns doch als blanke Subversion: Sich als Erwachsener einem unmündigen Kinde zu unterwerfen und das Leben auf Erden nicht als Endstation zu sehen, sondern als Exil. Laptop und Juwel nicht als dauernden Wert zu betrachten, sondern eine möglichst heile oder geheilte Seele, an die wieder zu glauben es höchste Zeit wird.

Die Geburt Jesu ist alle Jahre wieder ein auffallend milder Angriff auf unser allzu stolzes Welt- und Menschenbild. Lehrt nur eine Kanzel der selig machenden und gar nicht mehr selig machen wollenden Kirche ringsum, dass es böse und elend ist auf Erden und drinnen im Menschen? Die kapieren ja mit ihrem frommen Katechismus nicht mal, dass es um das arme süße Jesulein zur Heiligen Nacht überhaupt nicht geht! Gerold Paul

Überdimensionale Plakate findet man seit Wochen auf Bahnhöfen und an Bushaltestellen. Ihre Botschaft heißt: „Weihnachten wird unterm Baum entschieden!“ Seien wir ehrlich: Nimmt uns diese Botschaft nicht auch gefangen? Seit einigen Wochen quälen sich viele Menschen mit dem Gedanken, wie denn Weihnachten gelingen kann? Was braucht es dazu? Was brauche ich dazu? Ja, wer kann sich freisprechen von dem mulmigen Gefühl, eventuell an Weihnachten zu scheitern, weil eben nicht das Richtige unterm Baum liegt? Der zutiefst unsinnige Werbeslogan verleitet wahrscheinlich viele Menschen zu der irrigen Ansicht, sie selbst könnten für Sinn und Unsinn, Gelingen oder Scheitern des Weihnachtsfestes verantwortlich sein. Aber das hat nichts mehr mit Weihnachten zu tun.

Eine Christvesper in der Bornimer Kirche vor einigen Jahren war prägend für mein kritisches Verhältnis zu solcher Art Gottesdienste am Heiligen Abend. Als das wohl bekannteste Weihnachtslied „Stille Nacht, heilige Nacht“ von der Gemeinde feierlich angestimmt wurde, sang ich kräftig mit. Vor mir saßen zwei Familien, Kinder, Eltern und Großeltern. Niemand von ihnen sang mit, auch viele andere Vesperbesucher nicht. Man belustigte sich über den Sänger. Während der Predigt schaute dieser und jener des Öfteren unruhig auf die Armbanduhr. Mit solch einem oder ähnlichem Erlebnis wird man sicherlich auch in anderen Gotteshäusern in den Heiligen Abend entlassen.

Nach wie vor feiern viele Zeitgenossen ein Requisiten-Weihnachtsfest mit Traulichkeit, Sentimentalität, Tannenbaum, Gänsebraten und Geschenken. Solcherart romantisch bekennenden Gedichte wie „Es sinkt auf meine Augenlider, ein goldner Kindertraum hernieder“ lässt man in unserer so rationalen und aufgeklärten Zeit dann doch gern über sich ergehen. Martin Luther hätte den Dichter Theodor Storm ausgelacht über die Schönfärberei, die in diesem Gedicht zu vernehmen ist, auch den „Stille Nacht, heilige Nacht“-Sänger. Luther las die Weihnachtsgeschichte mit frommem, aber auch zornigem Herzen als Parteigänger der armen Leute. In der Hauspostille von 1544 fragt er: Warum kam niemand der Schwangeren mit Leintuch und Polster zu Hilfe? Eine seiner Antworten: „Hier dienet er uns und legt sich in unseren Schlamm. Die Welt aber, die zum Papst- und Kardinals- und Bischofs- und Pfaffenreich herunter gekommene Welt des Kaiser Augustus () in Brand gesetzt sollte sie werden“.

Aber es gibt ja nicht nur die Grau-in-Grau-Schilderung von der Suche nach einer Herberge und der Geburt des Christuskindes im Stall bei Ochs und Schaf vor mehr als 2000 Jahren. Da wird von den Hirten, den Engeln erzählt, als eine Geschichte voller Farben. Und vor allem wird Frieden angekündigt und den „Menschen ein Wohlgefallen“. Sehnsüchte und Wünsche brechen in uns auf, wie sonst an kaum einer anderen Stelle des Jahres. Ja, am Heiligen Abend wird uns diese Sehnsucht in besonderer Weise bewusst, beispielsweise beim Anblick der Kerzen, vielleicht auch beim Jubel der Kinder über die Geschenke. Da könnte das Herz aufgehen und wir spüren: Ja, da ist mehr. Vielleicht öffnet sich für kurze Zeit der Himmel. Aber das ist für manche auch wieder ein Bild der Idylle. Und darüber wird von uns so Aufgeklärten abschätzig gelächelt.

In dieser Behaglichkeit, die Christvespern und Wohnstuben bieten, könnte ja auch manchem ein Licht aufgehen, dass Weihnachten ein Fest der Begegnung mit der über 2000 Jahre alten Weihnachtsgeschichte ist. Jeder, der sie hört und feiert, erlebt sie auf seine Weise. Ich habe mich mit dem Auslachen in der Bornimer Kirche längst ausgesöhnt, denn vielleicht fahren sie hin und wieder doch ein paar Antennen aus, damit die Weihnachtsbotschaft auch von ihnen empfangen werden kann. Jedenfalls muss ich mich als langjähriger und vorlauter „Stille Nacht, heilige Nacht“-Sänger immer wieder fragen lassen: Wird auch bei mir das Weihnachtsfest hin und wieder unterm Baum entschieden? Klaus Büstrin

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