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Verschanzt. Herman van den Boom wagt einen Blick hinter die Hecken.

© Kunstraum

Kultur: Weil draußen der Feind sitzt

Der Fotograf Herman van den Boom zeigt im Kunstraum des Waschhauses auf pointierte Weise den Geist der privaten Abschottung seiner belgischen Landsleute

Stand:

Erst einmal muss mit einem großen Irrtum aufgeräumt werden. Nein, nicht die Deutschen sind die Könige im Zäune bauen. Unsere belgischen Nachbarn lassen uns da weit hinter sich. In diesem zwergengroßen Vielvölkerstaat mit seinen drei Sprachen und Kulturen wird noch vor Einzug in das eigene Heim ein Sichtschutz errichtet: ganz akkurat und möglichst hoch. Denn schon ein paar Meter weiter lauert der Feind. Wer abends um die Häuser zieht, den trifft der geballte Argwohn der Anwohner. „Nein, man bringt sich nicht gegenseitig um. Aber das ist auch das Einzige. Ansonsten denkt jeder nur das Schlimmste vom andern.“

Der belgische Fotograf Herman van den Boom, der direkt an der flämisch-französischen Sprachgrenze wohnt, hat diese wundersamen Abschottungen mit seiner Kamera festgehalten: im prallen Sonnenlicht und harten Schattenwürfen. Fast skulptural wachsen sie aus den Bildern heraus: die langen Buchsbaumhecken, millimetergenau geschnitten, oder die Drahtgeflechte direkt vor der Sitzecke, obwohl sich dahinter nur die Weite der Natur öffnet. Die witzig anmutende Rigorosität der privaten Isolierung hat natürlich ihren Ursprung, den der flämische Künstler in der Anhäufung skurriler Wälle pointiert hinterfragt. Diese Ausstellung im Kunstraum des Waschhauses „Arcadia Redesigned“ erzählt Kultur- und Sozialgeschichte, die sich infolge von Kriegen und fremden Besatzungsmächten, denen das Land über Jahrhunderte ausgesetzt war, herausgeschält hat. Tiefliegende Ängste wachsen zu Zäunen. „Weil draußen der Feind sitzt, wird alles zugegrenzt“, so der Künstler. Er wohnt in der Nähe von Lüttich. Wenn er zum Bäcker fährt, kommt er an einem Grundstück vorbei, das in einer schönen Hügellandschaft eingebettet liegt. Auf der obersten Erhebung wacht ein großer Hund in einem weithin sichtbaren Käfig. „Die Leute, die dort wohnen, sehen immer nur traurig aus.“ Menschen sind auf seinen Fotos nicht zu sehen, doch man spürt, welcher Geist hinter den Mauern steckt.

Der Fotograf zeigt aber nicht nur seelenlose Ungetüme aus Grün und Metall, sondern auch Doppelhäuser in einem ganz besonderen Architekturmix. Rücksichtslos bauen die „Neighbours“ (Nachbarn), wie er eine seiner Reihen überschrieb, das, was ihnen gefällt – ohne Rücksicht auf ästhetische Verluste. Die Menschen gestalten und verunstalten ihre Umgebung ganz nach eigener Fasson. Herauskommt ein kurioser Stilmansch.

Der Fotograf erlebte dieses kontroverse Aufeinanderprallen von verschiedenen Schönheitsvorstellungen auch in seiner eigenen Familie. Sein Großvater baute in den 20er Jahren ein romantisches Haus aus viel Holz und sein Vater setzte später direkt daneben eine einfache schmucklose Schachtel aus Billigmaterial. Und beide Männer waren Architekten. Links Bauhaus, rechts verspielte Liberalität – in dieser merkwürdigen Spannung präsentieren sich viele der gezeigten Reihenhäuser. Doppelhaushälften, die in ihrer Unterschiedlichkeit wie aneinandergeklebt wirken. Ansätze kennt man auch aus heimischen Gefilden, doch die Belgier treiben es auf die Spitze. Sie zeigen in dem kulturellen Flickenteppich, zusammengehalten von der Monarchie, wie sich die Gesellschaft aufs Private abfärbt: „abgegrenzt“ entlang der Sprachlinien. „Man unterschätzt die Unterschiede. Belgien ist wie ein kleines Laboratorium für ganz Europa. Man sollte nicht so naiv sein, zu glauben, dass alle zusammenwachsen wollen“, so Herman van den Boom. Die Belgier sind offensichtlich nicht nur ängstlich, wenn sie sich hinter ihren Zäunen verschanzen, sondern auch Anarchisten, wenn es ums Gestalten ihrer eigenen vier Wände geht. Paradoxien, die zeigen: Der Surrealismus kommt aus Belgien. Heidi Jäger

Kunstraum des Waschhauses, Schiffbauergasse, bis 26. Mai, Mi bis So, 12 bis 18 Uhr

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