Kultur: Weil er so schlicht und einfach war ...
Henryk Bereska in „Die verschwiegene Bibliothek“ / Kolberger Hefte im Huchel-Haus vorgestellt
Stand:
Nein, Henryk Bereskas „Kolberger Hefte“ handeln nicht von der Stadt in Pommern und auch nicht vom Krieg. Sie sind in einem höchst spartanischen Refugium des deutsch-polnischen Übersetzers zwischen den fünfziger und den späten achtziger Jahren entstanden. Kolberg ist ein winziger Flecken am Wolziger See nahe Storkow, mit einem 80-Meter-Berg ganz aus Sand, wie die gesamte Gegend. Wenige Häuser, nette Leute, ein Dorfkrug, vor dem sich die Mitarbeiter von DDR-Kinderferienlagern früh genug anstellen mussten, um ein Mittagessen zu bekommen.
So beschrieb Hilda Bereska, Witwe des 2005 verstorbenen Literaten, im Wilhelmshorster Huchel-Haus jene großstadtferne Idylle, wo die „Kolberger Hefte“ in großer Zahl entstanden. Zusammen mit den „Berliner Heften“, einer Aphorismensammlung, und den gediegenen Übersetzungen polnischer Literatur bilden sie gleichsam das Werk dieses Autors. Voriges Jahr gab die „Verschwiegene Bibliothek“ sie in der Edition Büchergilde heraus, am Dienstag stand er nun selbst wieder im Zentrum. Bereska hatte ja damals das neue Huchelhaus mit einer Lesung eröffnet. Mit drei Veranstaltungen gehört dem Schriftsteller und Übersetzer hier sogar Platz eins aller vorgestellten Autoren. Er kannte das Haus, kannte Huchel, Arendt und andere.
1926 im polnischen Kattowitz geboren und damit zweisprachig aufgewachsen, studierte er nach dem Krieg Germanistik und Slawistik, arbeitete beim Aufbau-Verlag, bis er ihn „aus politischen Gründen“ 1955 wieder verließ. Von da an schlug er sich mit Übersetzungen durch, während seine Gattin sich um die wirtschaftliche und moralische Seite kümmerte. Das Haus auf dem Berg, wo es weder Wasser noch Strom gab und Bereska schon mal mit der Schrotflinte auf Mäusejagd ging, war beiden ein Fluchtpunkt. „Das alles störte uns nicht“, erzählte Hilda Bereska, im Gegenteil, je spartanischer, um so wohler fühlte sich ihr Ehemann, – „weil er selbst so schlicht und einfach war“.
Hier also, auf dem Sandberg, entstanden all diese Notizen und Tagebücher. Kurze Berichte über Land und Leute, könnte man sagen, nicht mal was Aufregendes, wenn es um die bei den Intellektuellen so beliebten Eckdaten der DDR ging, 17. Juni 1953, Prager Frühling und Mauerfall. Die ließ der Schriftsteller nämlich wegen der steten Stasi-Überwachung aus: „So kriegen wir ein paar Jahre weniger“, sagte er damals.
Der sehr gut besuchte Abend im Huchel-Haus war gemeinsam mit dem Brandenburgischen Literaturbüro konzipiert. Hendrik Röder hatte ihn interessierende Passagen zwischen 1967 und 1989 (Lesung Inga Schmidt) ausgesucht, er moderierte auch selbst. Neben Hilda Bereska stand die Herausgeberin Ines Geipel zur Verfügung. Sie wollte mit besagten Heften „Leben benennen“ und „die Autonomie des Denkens in der DDR“ nachweisen, alles ein wenig verdreht formuliert. Wieder mal schien es, als sei die „verschwiegene Literatur“ im SED-Staat die beste gewesen.
Und was gab“s zu hören? Sehr schöne Aphorismen: „Was, wenn die mageren Jahre die fetten waren?“ Kurznotizen über „junge Sozialistinnen“, die in Blauhemd und Minirock demonstrierten, bevor sie in Zivil dem wirklichen Leben nachgingen, Kriminalberichte aus dem Alltag der Sechziger, Notizen über Freunde und Künstlerkollegen, von Mäusejagd und RAF-Hysterie, was Ines Geipel zu der Bemerkung trieb, sie hätte nie etwas Schlüssigeres über jene Tage gelesen, na ja.
Jedenfalls ließ die vorgetragene Auswahl die Bedeutung der „Kolberger Hefte“ für einen politischen Kopf nicht so leicht erkennen. Sie sind eher gute Zeitdokumente, und dabei sollte man es belassen. Gerold Paul
Gerold Paul
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: