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Kultur: „Weil ich so klein und unschuldig bin“ „Professor Unrat“ als Lesung im HOT

„Viel Nachfrage fand ein Hampelmann – mein Kopf und die Beine einer Schauspielerin“, kommentierte Heinrich Mann die Verfilmung seines Romans „Professor Unrat“ durch Josef von Sternberg (1929/30) satirisch. Die Beine gehörten Marlene Dietrich.

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„Viel Nachfrage fand ein Hampelmann – mein Kopf und die Beine einer Schauspielerin“, kommentierte Heinrich Mann die Verfilmung seines Romans „Professor Unrat“ durch Josef von Sternberg (1929/30) satirisch. Die Beine gehörten Marlene Dietrich. Lebenslang auf der Suche nach dem gesunden Proporz zwischen Politik, Ökonomie und Moral, schien ihm die Figur des tyrannischen Schulmeisters Raat wie geschaffen, mit der Wilhelminischen Ära abzurechnen. Aber es war wohl auch die Rache des 30-Jährigen an seinem eigenen Lehrer, wie man heute weiß. Aufgrund einer in Italien gelesenen Zeitungsnotiz ließ er die „Barfußtänzerin“ Lola Fröhlich im Lokal „Blauer Engel“ auf ihn los, bis er Ruf und Existenz verlor. Ziemlich gemein vom älteren Mann, aber warum musste der Professor auch Menschenbeine anbeten!

So aber geschah es an dem bürgerlichen Gymnasium einer norddeutschen Stadt, wo der „Schultyrann“ angeblich nur dafür sorgte, dass seine Schützlinge das Klassenziel nicht erreichten. „Unrat liegt in der Luft“, spotteten die Sekundaner Lohmann, Erztum und Kieselack, wenn er, „hölzernes Kinn mit dem dünnen, graugelben Bärtchen“, in der Nähe war. Lohmann, Raats Antagonist und Selbstporträt des Autors, wurde sogar zu seinem Erzfeind. Ausgerechnet in dessen Schulheft fand der Pauker erste Indizien von der Tänzerin. Zum Schluss wird der alternde Herr ihr völlig hörig – jeder findet eben seinen Meister!

Unter der Rubrik „Drauf möcht“ keiner kommen“ präsentierte das Hans Otto Theater diese „unglaubliche deutsch-sprachige Erzählung“ in seiner jüngsten Sonntagsmatinee. In erfrischendem Gegensatz zu den sonst eher „reinen“ Lesestunden hatte man diesmal sogar eine szenische Gestaltung der lebhaften Art vor sich. Nadine Schori zeigte sich dem Publikum als verführerische Sängerin und Tänzerin, später las sie die Frauenrollen mit nicht so gut zu verstehenden Dialekten, Rita Herzog begleitete mit Hollaender („Lola Blau“), Feldman und anderen am Klavier, Peter Wagner versuchte sich fast schüchtern als „Sprecher“, Hans-Jochen Röhrig (Gesamtleitung) selbst las und spielte zum Vergnügen der Leute einen liebestollen Unrat mit satirischem Hang, der ihm ja innewohnt.

Wenn man von den Sangesqualitäten des Teams und dem Versuch, Text und Musik simultan zu geben, absieht, war es ein guter Vormittag – allerdings wieder im Eckchen zwischen Treppe und Tresen des Neubaus; schade, dass man vergaß, der „Kleinen Form“ einen Platz einzuräumen.

Nadine Schori gab im sichtbaren Bemühen, vom Filmbild abzurücken, eine „Kindfrau“ mit Schmollmund und Augenaufschlag. Trotzdem „von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt“, ließ sie den schwerenötigen Professor auf der in Rot drapierten Mini-Bühne zwischen Genuss und Anstand schwitzen: Flötete die Versucherin nur „Weil ich noch so klein und unschuldig bin“, wurde das Alter ego dieses gebildeten Schul-Humanisten höchst unruhig! Literatur ist eben nicht alles.

Gute Idee jedenfalls, den „durchweg soziologischen“ Roman nicht zu kürzen. „Wir lassen ihn dort enden, wo er enden könnte“, sagte Hans-Jochen Röhrig vorab. Die Matinee schloss, als Unrat in einer berührenden Szene von Lolas heimlichem Kinde erfährt. Fortsetzung vielleicht zu Hause. Ein gut gestalteter Wurf mit offenem Schluss, das sollte Schule machen.

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