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Den Wahnsinn im Blick. Hannelore Hoger bei ihrem Auftritt in Potsdam.

©  Andreas Klaer

Von Gerold Paul: Weißer Hai und schwarzer Kater

Schauspielerin Hannelore Hoger las im Nikolaisaal drei Geschichten von Edgar Allan Poe

Stand:

Ein Raunen ging durch die Reihen, als die Zuhörer im ausverkauften Nikolaisaal den Ausgang dieser dritten Geschichte erfuhren: Nachdem sich der Delinquent endlich durch seinen Übermut selber verriet, entdeckten die Kriminalen nicht nur die Leiche seiner Frau, die er in blinder Wut mit einer Axt erschlug, sondern auch den fauchenden schwarzen Kater auf ihrem Kopf. Er hatte ihn unbemerkt mit ihr zusammen in die Kellerwand gemauert.

Direkt „Vom Kino zum Konzertsaal“ führte die prominente Schauspielerin Hannelore Hoger am Freitag ihr Publikum auf die Pfade des Grauens, wenigstens, was der sehr im kulturellen Europa verwurzelte US-Autor Edgar Allan Poe (1809-1849) zu seiner Zeit darunter verstand. Heute ist man da ja viel weiter. Neben „Der Schwarze Kater“ und „Das vorzeitige Begräbnis“ brachte die noch in Kriegszeiten hineingeborene Hamburgerin auch „Das verräterische Herz“ zu Gehör, die Geschichte eines Mannes, der einen freundlichen Alten erdrosselt, nur weil ihn dessen trübes „Geierauge“ störte. Um das Maß voll zu machen, packte das Deutsche Filmorchester Babelsberg unter dem Dirigat von Lorenz Dangel noch sechs Filmmusiken aus bekannten Gruselfilmen live dazu, so dass man erst kurz vor der elften Stunde nachts entlassen ward, geschüttelt vor Schnee und Kälte – oder schlich einem da der „Dreimal Schwarze Kater“ nach, jener mit den rotglühenden Augen? Bloß nicht umdrehen! Solche Geschöpfe, sagte man früher, seien nämlich verzauberte Hexen.

Hannelore Hoger gab sich so, wie man sie kennt: Ein verschmitztes Lächeln im Gesicht, kraftvolle, stets gemächliche Stimme, im Outfit fast wie die Hamburger Kommissarin Bella Block, mit rotem, hochgesteckten Haar, die Hannelore Hoger seit 1994 für das ZDF manch kniffligen Fall lösen lässt. Während der Musikbeiträge freilich setzte sie sich ganz bescheiden an die Seite, den anderen den Vortritt lassend. Zu der eher unspektakulären Lesung selber gibt es so viel nicht zu sagen, die im „Verräterischen Herzen“ mitgesprochene Distanz ermöglichte dem Publikum trotz eines knallharten Sujets etwas Heiterkeit. „Das vorzeitige Begräbnis“ drohte bald in langer Weile zu versinken, während das Ding mit dem einäugigen Kater klugerweise in zwei Teilen präsentiert wurde, eingerahmt in Musik aus John Williams für den „Weißen Hai“ und Woiciech Kilar’s „Dracula“-Version von 1992, einem sehr klaren und ausdrucksvollen Stück Musik (Bearbeitung Lorenz Dangel) mit viel Emotion und Wirkung.

Alle drei im Nikolaisaal gelesenen Geschichten sind zwischen 1843 und 1844 entstanden. Das kurze Leben des überzeugten Südstaatlers und gesellschaftlichen Außenseiters war stets ein Pulsen zwischen Annahme und Abstoßung, dem Klopfen des verräterischen Herzens gleich. Vor dem dritten Jahr Vollwaise, zog ihn ein vermögender Kaufmann auf, der ihn dann aber letztlich verstieß. 1835 heiratete er seine knapp vierzehnjährige Cousine Virginia, sie starb zwölf Jahre später. Poes Aversion gegen schwarzes Gemauze habe, so munkelte man, mit ihrem Tode zu tun, der Sterbenden saß da nämlich eine schwarze Katze auf ihrer Brust. Man hatte also keine Mühe, die poetisch verschlüsselten Botschaften aus Boston, Richmond oder Baltimore auf den Autor selbst zu beziehen.

Klar, es sind seine Ängste, seine nie getanen Taten, die er literarisch beschreibt und begeht. Sein „Poetisches Prinzip“ aber wollte die Seele durch Betrachtung des Schönen erhoben wissen, er war ja Lyriker auch, was nur wenige wissen. Nicht mal seine verhängnisvolle Leidenschaft zum Branntwein konnte solche Abgründe überbrücken! Man hatte es also mit dem schwarzen „Ich“ dieses Autors zu tun, nicht einfach nur mit gruseliger Literatur! Und der Kater war hier der Türöffner!

Die musikalische Auswahl führte das Publikum, mit Chapeau, durch die komponierte Filmgeschichte, welche hier mit „Frankensteins Braut“ (Franz Waxmann, 1935) begann, „Alien“ (Jerry Goldsmith) mit einem tollen Trompetensolo kurz streifte, bevor das von John Williams perfekt getimte Stück aus dem „Weißen Hai“ erklang. Jedes für sich genommen, sehr gute Gegenwarts-Musik! Dankbar applaudierte das Publikum zur Bühne hin, dankbar verneigte sich Hannelore Hoger auch vor dem Orchester.

Gerold Paul

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