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Kultur: Weltmusik „Affetti Musicali“ aus Mexiko in Sanssouci

Als die spanischen Kolonialisten Südamerika eroberten, nahmen sie nicht nur Waffen, Werkzeug und Bibeln, sondern auch ihre musikalischen Traditionen mit. Gerade die Tonkunst hatte einen nicht geringen Anteil an der Missionierung Amerikas.

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Als die spanischen Kolonialisten Südamerika eroberten, nahmen sie nicht nur Waffen, Werkzeug und Bibeln, sondern auch ihre musikalischen Traditionen mit. Gerade die Tonkunst hatte einen nicht geringen Anteil an der Missionierung Amerikas. Einen Eindruck davon gab das Konzert des mexikanischen Vocalensembles „Affetti Musicali“ zu Ostern in der Friedenskirche Sanssouci.

Das 1993 von Hugo Ricardo García y García gegründete Ensemble brachte Lieder aus der Frühzeit des Vizekönigreiches Mexiko zu Gehör, die erst in jüngster Zeit aus den Archiven der Kathedralen von Mexiko-Stadt und Puebla hervorgeholt wurden. Den Anfang machte ein düsterer Prozessionsgesang in Quechua, der als erstes auf lateinamerikanischem Boden komponiertes Musikwerk gilt. Die vier Sängerinnen und zwei Sänger erschienen in schlichten Indio-Kleidern und Mönchskutte, was ihrem Auftritt dezent anschauliche Züge gab. Später verdeutlichten prunkvolle Gewänder aus Brokat und Spitze die Pracht und den Wohlstand im Vizekönigreich Mexiko.

Die dargebotenen Motetten, Villancicos und Canzonetten wiesen charakteristische Züge der europäischen Renaissancemusik auf. Sie stehen im polyphonen Satz, verwenden Stil und Techniken des Madrigals und sind zunehmend auf Textausdruck gerichtet. Dieser allerdings steht in der Sprache der zu Bekehrenden, in Nahuatl. In der Kolonialzeit gehörte das Erlernen der Indianersprachen zu den Pflichten der Priester, die sich auf diese Weise schnelle Erfolge für ihre Ziele erhofften. Erst Ende des 18. Jahrhunderts ging die Phase der sprachlichen Toleranz zu Ende. Daher finden sich in Mexiko jede Menge geistlicher Lieder in Nahuatl, der Sprache der aztekischen Ureinwohner. Die beiden ältesten in Nahuatl komponierten Motetten aus dem Jahr 1575 stammen von Hernando Franco, dem ersten Kapellmeister an der prächtigen Kathedrale in Mexiko-Stadt. Sie preisen die Gottesmutter in schlichter, gesanglicher Harmonik im Wechsel von Solo und Chorgesang. Aus den beliebten spanischen „villancicos“ – Wiegenlieder zur Weihnachtszeit – wurden in Mexiko „Xicóchis“, drei- und vierstimmige Chorlieder im pastoralem Stil der Renaissance, die sehr bewegend die Andacht für das schlafende Jesuskind reflektieren. Mit klangvollen Stimmen gaben die Sänger schöne Beispiele dieser innigen, anrührenden Gesänge von Gaspar Fernandes. Schon hier, mehr noch in den „negros“ dringt mit Trommel, Rassel und Ratsche der heutzutage weltbekannte spezifische, synkopierte Rhythmus durch. Die „negros“ wurden für die aus Afrika importierten Sklaven komponiert, die auch missioniert werden sollten. Europäische Polyphonie und archaische Musikinstrumente gehen hier eine aparte Mischung ein – eine frühe Form von „Weltmusik“.

Flöten und Trommeln erklingen auch in den Motetten „El que d´este pan comiere“ (nach dem Johannes-Evangelium:“Wer von diesem Brot isst“) und „Guarda la fiera“ („Vorsicht vor der Bestie“). Beide Werke finden ausgesprochen klangvoll beredte, lyrisch-emphatische respektive dramatische musikalische Ausdrucksformen für die Worte – ganz im Sinne der italienischen Kompositionslehre der „seconda prattica“. Auf den zustimmenden Beifall gaben „Affetti musicali“ drei Zugaben.Babette Kaiserkern

Babette KaiserkernD

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