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Kultur: Weltverbesserer als Zottelmonster
„Jekyll & Hyde“: Das Musical vom Staatstheater Cottbus als Gastpiel am Hans Otto Theater
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Auf der Bühne brodelt, zischt und dampft es wie im Labor von Dr. Faust. Allein, im Potsdamer Hans Otto Theater wird kein Homunculus erschaffen, wie in Goethes Klassiker. Vielmehr haben Dr. Jekyll und Mr. Hyde, die zwei Seelen aus einer Brust, die Rampe erklommen. Singend und spielend erzählt die Gast-Inszenierung des Staatstheaters Cottbus vom mörderischen Doppelgänger, der im viktorianischen England sein Unwesen treibt.
Wenn aus dem Nebel düstere Töne erklingen, die bald zu bombastischen Tonschwaden im Hollywoodstil anwachsen – spätestens dann wird der Zuschauer in die Handlung hineingezogen. Oder aber er fragt sich, wie es dazu kam, dass aus der weltberühmten Schauernovelle von Robert Louis Stevenson ein Musical wurde. Das 1997 am Broadway uraufgeführte Stück lief dort 1500-mal erfolgreich. Weitere Premieren folgten, unter anderem 1999 in Bremen, wo Jekyll & Hyde rund 700-mal lief. Doch bereits kurz nachdem Stevensons Erzählung im Jahr 1886 veröffentlicht wurde, gab es Bühnenversionen und nicht weniger als 30 Filme dazu, abgesehen von einigen durchaus ernsthaften literarischen Reminiszenzen. Das ursprünglich romantische Doppelgängermotiv scheint zu einer Chiffre des 20. Jahrhunderts geworden zu sein.
Nun also, quasi zum Abschluss dieses unseligen Jahrhunderts, ein Musical. In der Tat hat dieser musikumflorte Dr. Jekyll nur noch wenig mit seinem Urbild zu tun. Dafür trägt er umso mehr Züge seiner Zeit. Er ist, wie man in Umkehr zu Goethes Mephisto sagen könnte, ein Teil von jener Kraft, die stets das Gute will und stets das Böse schafft. Der aus der Feder der erfolgreichen Filmautoren und Komponisten Leslie Bricusse und Frank Wildhorn entsprungene Bösewicht war nämlich zunächst ein Guter, ein Idealist, der beim Tod seines Vaters schwor, nach einem Mittel zu suchen, das die guten Seiten des Menschen von den schlechten trennen könnte. Er hofft so, das Böse auszumerzen in einer Welt, die nicht von ehrenhaften Menschen, sondern von Heuchlern regiert wird.
Anders als im Original, wo gar keine weiblichen Wesen auftauchen, hat der neue Dr. Jekyll gleich zwei Frauen zur Seite, die ihn beide leidenschaftlich lieben. Das ist wohl der Dramaturgie geschuldet - wenn auf der Bühne nur Tenöre, Baritone und Bässe erklängen, wäre das eher nicht angenehm. Davon abgesehen ergeben sich so reichlich Szenen voller Herzschmerz und sogar ein frecher Frauensong. Die Riesenrolle des Dr. Jekyll / Mr. Hyde wird von Heiko Walter mit höchster Präsenz nicht ohne Anstrengung gemeistert. Sein Jekyll ist ein schneidiger, aufrechter Weltverbesserer, als Hyde verwandelt er sich in ein zottelhaariges Monster wie aus einem schlechten Horrorfilm. Bewundernswert tonsicher und klangschön absolviert er seine zahlreichen Arien und Duette.
Die Frauen neben ihm, Lisa und Lucy, verkörpern als anständige Frau und als Hure sozusagen den weiblichen Doppelgänger des 19. Jahrhunderts. Sei dieses Modell auch dem patriarchalischen Diskurs geschuldet, hier steht es wieder auf. Sopranistin Cornelia Zink verleiht der Verlobten Lisa anmutigen Gesang und strahlendes Timbre. Aber Lucy, eine Mischung aus Sally Bowles (Cabaret) und Mimi (La Bohème), liebt mindestens genauso schön und traurig. Sie wird von der glänzenden Camilla Kallfaß mit Talent und Charisma gespielt, gesungen und getanzt. Nach ihrem großartigen Auftritt in der Barszene mit dem verruchten Song „Schaff die Männer ran“, singt sie mit Lisa im Duett von der Liebe zu ihrem Henry, später träumt sie von einem neuem Leben. Dass sie unmittelbar darauf von Hyde stranguliert wird, erstaunt nicht direkt.
In weiteren Rollen überzeugen Jörg Simon als Sir Danvers und Andreas Jäpel als John Utterson. Insgesamt setzt die brave Inszenierung von Martin Schüler auf die gefühligen Töne und wirkt besonders in den Chorszenen reichlich verstaubt. Das Symphonieorchester unter der Leitung von Marc Niemann drückt mächtig auf die Tube, hält aber mit einem lockeren Pianisten das Tor zum Swing und Jazz weit offen.
Angesichts dieses Dr. Jekyll ist man überrascht, aber keineswegs enttäuscht darüber, welch neuartige Gestalten aus dem Weltlabor der Literatur und der Musik hervorgehen können. Zum Abschluss gab es viel Beifall für das hochengagierte Ensemble des Staatstheaters Cottbus.
Babette Kaiserkern
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