Kultur: Wen die Götter lieben
„Wunderkinder“-Konzert im Nikolaisaal und „Vitus“ im Filmmuseum / Am Flügel: Teo Gheorghiu
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Der Rummel um seine Person scheint ihm irgendwie lästig zu sein. Staunend, verlegen, geradezu ungläubig nimmt er den Auftrittsbeifall entgegen, verbeugt sich artig nach getaner Tastenarbeit vorm begeistert applaudierenden Publikum. Dennoch sympathisch wirkt, wie der 16-jährige Pianist Teo Gheorghiu, Vorzeigeobjekt für das „Wunderkind“-Projekt des Nikolaisaals, mit den Huldigungen bei seinem „Klassik am Sonntag“-Auftritt umgeht. Ehe es soweit ist, spricht Moderator Clemens Goldberg mit Filmregisseur Fredi M. Murer über die Erlebnisse mit dem schweizerischen „Wunderkind“ rumänischer Abstammung, flimmern filmbiografische Sentenzen über die Leinwand. „Je besser man spielt, desto mehr verdient man später“, eine sehr pragmatische Einstellung des damals Elfjährigen. Sein Ziel? Bald in der New Yorker Carnegie Hall oder in Londons Albert Hall spielen zu können.
Nun ist es Potsdam, wo er mit Schumanns a-Moll-Klavierkonzert op. 54 reüssiert. Wieder unter Leitung von Howard Griffiths, der ihm im „Vitus“-Film bei der Aufführung selbigen Stücks hilfreich zur Seite stand. War es damals das Zürcher Kammerorchester, ist es diesmal das Brandenburgische Staatsorchester Frankfurt, das mit ihm Robert Schumanns musikalische Autobiografie aufblättert. Und da beweist sich bereits in den ersten Takten dieses konzertanten Lebensabenteuers, dass Teo Gheorghiu mehr kann, als nur bravourös die Tasten zu bedienen. Sein Spiel sucht vielmehr die Geheimnisse des Opus’, die notenniedergelegten Leidenschaften des Komponisten zu ergründen.
Konzentriert sitzt er am Flügel, scheinbar unbeteiligt. Um so mehr verstehen seine Finger zu sprechen. Sie huldigen bei allem feurigen und kraftvollen Tastentanz keiner puren Virtuosität, sondern bringen gleichfalls des 16-Jährigen eigene Lebenserfahrungen in den sinfonischen Dialog. Technisch perfekt und nuanciert ist sein Anschlag, ausdrucksvoll und wissend, von einem Hauch distanzierender Rationalität umhüllt. Das Staatsorchester verbreitet in den Allegro-Sätzen pure Lebensfreude, peitscht das Geschehen in effektvoll auftrumpfende Regionen. Dagegen wartet das graziöse Intermezzo mit innigen Reminiszenzen auf, die der Pianist mit eleganten Gesten leicht und locker ausdeutet. Auch in zwei lyrischen Schumann-Zugaben, darunter die „Träumerei“, beweist Teo Gheorghiu seine gewachsene Reife. Zweifellos: aus dem ehemaligen Wunderkind wird bald ein wahrer Künstler werden!
Zweifel darf man dagegen beim zweiten „Wunderknaben“-Angebot haben: dem gleichfalls 16-jährigen Marlen Malajew, der seit 2006 als Jungstudent am Julius-Stern-Institut der Universität der Künste unterrichtet wird. In Mozarts Klaviervariationen über „Ah, vous dirai-je, maman“ KV 265 eilt er flinkfingrig, undifferenziert und größtenteils im undifferenzierten Forte über die Tasten. Vordergründige Virtuosität, die sich wie eine Spieluhr abspult. Dass sich Mendelssohn Bartholdy mit seiner „Hebriden“-Ouvertüre in diesem „Wunderkind“-Programm wieder findet, verdankt sich dessen Frühstarter-Karriere als Komponist. Der leidenschaftsgeprägte Reisebericht, beginnend von der Überfahrt durch schwere See, das Schwelgen beim Anblick der Inselschönheiten bis hin zu lieblichem Wasserwellensäuseln, findet durch die Frankfurter Musiker eine überaus intensive, klanggenaue Wiedergabe. – Wie passend nach diesem „Wunderkinder“-Konzert: für die musikalische Früherziehung von Potsdamer Vorschulkindern wird im Rahmen der Initiative „Klingender Advent“ am Ausgang eine Spende erbeten.
Peter Buske
Teo Gheorghiu war tags zuvor auch der Hauptakteur im Filmmuseum. Dort wurde der Film „Vitus“ des Schweizer Regisseurs Fredi M. Murer aus dem Jahr 2006 gezeigt. Und da der Schweizer Regisseur Fredi Murer seinen Schützling ohnehin nach Potsdam begleitet hatte, erzählte er auch im Filmmuseum seine Wunderkind-Geschichte.
Gleich in der Anfangsszene, als sich der Junge ins Cockpit stiehlt und alleine vor der Instrumententafel sitzt, wusste das Kinopublikum noch nicht, wie diese Reise ausgeht. Wird Vitus abstürzen, ist die Flucht des Wunderkindes vor den Ansprüchen der Eltern zum Scheitern verurteilt?
Eigentlich, erklärte Regisseur Fredi Murer, war der Film für ihn „die Erfüllung eines unerfüllten Kinderwunsches“, ein autobiografischer Stoff also: „Ich wollte als Kind immer ein Genie sein, aber ich war so grausam normal“, berichtete der 68-Jährige. Seine eigene Klavierbegeisterung habe er „aus ökonomischen Gründen“ nur mit der „Handharmonika“, dem Akkordeon, nachgehen können: „Ich habe es auf den Tisch geschnallt, meine Schwester musste ziehen, ich habe gespielt“, erzählte der Regisseur. Dass ein Film über seine Kindheit wirklich so „ziemlich langweilig“ geworden wäre, wie er befürchtete, durfte nach diesen kurzen Einblicken schon bezweifelt werden.
Murer entwickelte stattdessen den Stoff um Wunderkind Vitus und stand nun vor dem Problem, einen Hauptdarsteller zu finden: „Ich wollte keinen Schauspieler, bei dem Kopf und Hände getrennt gefilmt werden.“ Weil das Casting dieses Ansinnen als unrealistisch einschätzte, habe er sich selbst auf die Suche machen müssen.
Fündig wurde er bei der renommierten Londoner Purcell School, wo Teo Gheorgiu studierte. Dass der damals Elfjährige als in der Schweiz geborener Sohn rumänischer Eltern fließend deutsch sprach, ist nur eines der „Wunder“, die Murer seitdem mit Gheorgiu erlebte: „Ich habe einen Bub gefunden, der noch genialer ist als meine Erfindung“, sagt der Regisseur.
Er begleitet den Jungen seitdem, war bei Konzerten in New York, Tokio und Istanbul dabei. „Er hat das Zeug zu einem Profi, ist nicht eines der autistischen Wunderkinder“, sagt er. 2009 sei eine China-Reise geplant, im März wird die erste CD erscheinen. „Der Film ist zur Startrampe für Teos Pianistenkarriere geworden“, meinte Murer: „Aber fliegen und landen muss er selber.“ Jana Haase
Peter Buske
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