Kultur: Wen interessieren schon Konventionen
Andy McKee, Claus Boesser-Ferrari und Uwe Kropinski sind in der kommenden Woche bei „theartof Guitar“ zu erleben
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Andy McKee ist ein Star nach aktuellsten Kriterien. Er hat mittlerweile zwar schon neun Alben veröffentlicht, ist durch zahlreiche Länder getourt, seinem Bekanntheitsgrad aber verdankt der amerikanische Gitarrist vor allem der Videoplattform Youtube. Dort veröffentlichte sein Label Candy Rat Records Ende 2006 McKees „Drifting“. Auf dem Video ist ein sympathischer junger Mann im schlabbrigen T-Shirt und mit Glatze und Bart zu sehen, der für den Laien auf seiner Akustikgitarre scheinbar unverständliche Dinge tut. Mit der linken Hand greift er zwar die Saiten auf dem Griffbrett, das aber in unkonventioneller Art und Weise, um dann auch noch in regelmäßigen Abständen den Korpus wie ein Percussionsinstrument zu traktieren. Auch die rechte Hand führt ein seltsames Eigenleben und ist nur selten dabei zu erleben, wie sie ganz klassisch die Saiten anschlägt.
Was McKee hier auf virtuose Weise zelebriert, ist die hohe Kunst des Tappings. Dabei werden die Saiten direkt auf dem Griffbrett an den entsprechenden Bundstäben und nicht wie üblich über, vor oder hinter dem Schallloch angeschlagen. Und weil bei dieser Form die Gitarren fast ausschließlich offen gestimmt sind, sodass die Saiten leer angeschlagen nach einem Akkord klingen, entsteht schnell der Eindruck, hier würde nicht nur ein, sondern mehrere Instrumente zu hören sein. Der Franzose Erik Mongrain ist auch ein Meister des Tappings, wie sein herrlich groovendes „AirTap“ oder „PercusienFa“ zeigen, bei denen nicht selten der Eindruck entsteht, gleich könnte seine Gitarre in alle Einzelteile auseinanderfliegen. Nur ist Mongrain nicht annähernd so erfolgreich wie sein amerikanischer Kollege. Denn McKees „Drifting“ wurde mittlerweile über 51 Millionen Mal angeklickt und zählt somit zu den 100 erfolgreichsten Videos auf Youtube. In der kommenden Woche ist Andy McKee beim Potsdamer Festival „theartof Guitar“ in der Waschhaus-Arena zu erleben.
Im vergangenen Januar hatte Siegfried Dittler, Geschäftsführer des Waschhaus, das Festival ins Leben gerufen, das jedes Mal ein bestimmtes Instrument oder eine Person in den Mittelpunkt stellt. War es im vergangenen Jahr das Klavier, so ist es in diesem die Akustikgitarre. Und wie im vergangenen Jahr sind auch in diesem drei Konzerte mit drei unterschiedlichen Instrumentalisten zu erleben. Nun mag es wie die berühmte Quadratur des Kreises oder wie Hybris anmuten, wenn in nur drei Konzerten „theartof Guitar“ präsentiert werden soll. Aber in der Auswahl der drei Künstler, die ja per se schon eine Beschränkung darstellt, hat das Team um Dittler zwar nur einen Aspekt aus der farbenreichen Welt der Akustikgitarrenmusik berücksichtigt, aber das mit größtmöglichster Streuung und zahlreichen Anspielungen an die Tradition des Fingerpickings.
Wenn Andy McKee zwar auch kein Jungstar ist, dafür aber ein Paradebeispiel für den Einfluss der neuen Medien in Sachen Erfolgschancen, so ist Claus Boesser-Ferrari als alter Hase zu bezeichnen. Denn der 1952 in Bellheim geborene Musiker ist eine der stilprägenden Figuren auf der Akustikgitarre, der auch, direkt oder indirekt, Einflüsse auf das Spiel von McKee gehabt haben wird. Wie Andy McKee gibt sich Boesser-Ferrari nicht mit dem konventionellen Umgang mit der Gitarre zufrieden. Er war und ist ein Freigeist, der Grenzen auf sechs oder zwölf Saiten nicht akzeptiert und entsprechend die Möglichkeiten ausreizt. Dort, wo Andy McKee auf seinem Instrument durch das Tapping und die perkussiven Elemente eine treibende und vielschichtige Klangwelt evoziert, die fast immer durch ein gewisses Gute-Laune-Gefühl direkt ins Herz des Zuhörers geht, ist Boesser-Ferrari mittlerweile mehr in den experimentellen Sphären der akustischen Gitarrenmusik zu Hause. Beiden aber ist gemein, dass sie auf herausragende Art und Weise immer wieder aufs Neue zeigen, dass die Akustikgitarre mehr ist als nur ein Begleitinstrument.
Ab den 1950er-Jahren war dieser Trend aus den USA kommend zu beobachten. Gitarristen wie Chet Atkins oder John Fahey hatten, sich am traditionellen Blues und dem Jazz orientierend, einen eigenen Stil entwickelt. Mit Leo Kottke betrat dann in den 70er-Jahren ein junger Musiker die Bühne, dessen Album „6 and 12 String Guitar“ bis heute Maßstäbe setzt. Denn was Kottke allein durch das virtuose und rasend schnelle Spiel seiner Finger aus der Gitarre holt, ist einfach atemberaubend. Dieses Hochleistungsspiel forderte aber bald seinen Tribut. Um dauerhafte gesundheitliche Schäden in der rechten Hand zu vermeiden, musste Kottke seinen Stil ändern. In den 80er-Jahren prägte dann der viel zu früh bei einem Autounfall ums Leben gekommene Michael Hedges die Szene. Einer der ersten Hexenmeister in Sachen Tapping, auf den sich auch Andy McKee bezieht.
So spektakulär das alles auch klingen mag, das musikalische Rad haben diese Musiker damit nicht neu erfunden. Es genügt nur ein Blick zurück in die Zeit der Renaissance oder des Barock und auf das, was manche Musiker und Komponisten hier geschrieben haben. Erst im Dezember war Matthew Jones im Potsdamer Kammermusiksaal Havelschlösschen mit Passacaglien von Angelo Michele Bartolotti auf der Barockgitarre zu erleben. Und Bartolotti wusste schon vor über 350 Jahren die linke Hand so effektvoll einzusetzen, dass ein virtuoser, farben- und gestaltungsreicher Klang entstand. Letztendlich aber nie so effektvoll wie beispielsweise bei Hedges, McKee oder Mongrain – was auch den Grenzen seines Instruments und den Stil- und Zeitvorstellungen geschuldet war.
Mit Uwe Kropinski ist dann zum Abschluss von „theartof Guitar“ ein Gitarrist zu erleben, in dem sich das Tapping und die perkussiven Elemente, das Fingerpicking und darüber hinaus auch Flamenco, Weltmusik und Anleihen von der klassischen Musik auf ganz einzigartige und herrlich-verrückte Art und Weise verbinden. Es werden bei diesen drei Konzerten viele Verbindungen und Gemeinsamkeiten, aber auch genauso viele Unterschiede deutlich werden. Und im besten Fall wird sich mit Claus Boesser-Ferrari, Andy McKee und Uwe Kropinski ein gitarristischer Kosmos öffnen, der einen nur staunen lässt.
Weitere Informationen zum Programm und den Preisen unter www.waschhaus.de
Dirk Becker
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