zum Hauptinhalt

Kultur: Wenn das Theater campen geht

Theatergruppe Molino mit „Hase Hase“ open-air in Sacrow

Stand:

Es kann gar nicht genug Sommertheater geben. Wenn das Theater in so schöner Umgebung wie dem Innenhof neben dem Sacrower Schloss campen geht, sind Wurst und Wein stets nah. In so freundlicher und gepflegter Atmosphäre ist es niemandem möglich, auch nur ein böses Wort über die Schwächen der Aufführung der Laien-Theatergruppe Molino zu finden. Das Stück „Hase Hase“, geschrieben von der Französin Coline Serreau, in Paris 1986 uraufgeführt und in deutscher Erstaufführung 1992 am Berliner Schillertheater zu sehen, wird beherzt aufgespielt. Im Sommer braucht man nicht mehr, im Winter und ohne Wurst und Wein würde es vielleicht nicht mehr reichen.

Die Raffinesse des Regisseurs, Schausspielers und Choreografen Jaime Tadeo Mikán, dessen Arbeit ihn u.a. auch schon ans Hans Otto Theater geführt hat, liegt in der Entscheidung, alle Hauptrollen innerhalb der Story über die Familie Hase (franz. Lapin) gleich von einer Vielzahl von Darstellern spielen zu lassen. Nur an den Kleidern und Perücken (floral geprägtes Bühnenbild Babriel Hermida) konnte man sich letztlich die Figuren einprägen. Blauer Pulli und Baskenmütze gleich missratener Sohn Jeannot, Lederweste, weißes T-Shirt, gleich genauso missratenem Sohn Bébert. So wird effektiv vermieden, besonders begabte Schauspieler hervorgehoben zu sehen. Besonders auffällig waren dennoch die gleich vier Ausprägungen der Titel gebenden Figur, des leicht erregbaren Nesthäkchens der armen Arbeiterfamilie, das auch mit Vornamen Hase heißt. Alle vier trugen Basecap und Hasenzähne und wollten mit schriller Stimme sofort in die Luft gehen, wenn sich etwas für sie Unerwartetes ereignete. Gerade nach der Pause passiert davon einiges. Bis dahin glaubte man, in einem realistischen Sozialdrama zu sitzen. Mutter Hase lebt mit Mann und zwei Söhnen in äußerst beengten Verhältnissen. Widrige Umstände treiben einen weiteren Sohn, zwei Töchter, einen Beinahe-Schwiegersohn und die Nachbarin in ihren Haushalt. Der Ehemann verliert seine Arbeit, muss zuhause lügen, Klein-Hase fliegt von der Schule und lügt ebenfalls. Nach der Wein-und-Wurst-Unterbrechung wurde aus dem weinerlichen Sozialkitsch mit komödiantischen Zügen urplötzlich eine bizarre Farce aus Orwell´scher Endzeitvision und Science Fiction. Es stellt sich heraus, dass Hase Junior tatsächlich mit Außerirdischen in Kontakt stand, und er berufen ist, das mittlerweile an die Macht gekommene Unrechtsregime zu beseitigen. Dieser komplexen poli-philo-psycho-Mixtur waren weder die Schauspieler, noch vermutlich das Publikum vollends gewachsen. Das Ganze endete in einem vom Feminismus geprägten Gruppenmonolog des neunköpfigen Ensembles über das dem Mannesgeschlecht innewohnende Streben, genauso urnackt und rund sein zu wollen, wie es die Frau als solche wäre.

Das offensichtlich gehörig modernistische Potenzial von Serreaus Stück verlangte vom spielenden Personal die Fähigkeit, einfältig komisch und zugleich dunkel böse zu agieren. Zuviel Doppelbödigkeit und latenter Wahnsinn für die Laienschar, die zum Teil mit ihrem erdigen Berliner Idiom die französische Bühnenwelt unfreiwillig auffrischten.

Matthias Hassenpflug

Matthias Hassenpflug

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })