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Kultur: Wenn der Himmel drohend dräut

Imaginäres von Gerhard Gabel in einer Ausstellung in der Galerie am Neuen Palais

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Da hat einer in die tiefste Tiefe des mythologischen Symbolismus gegriffen, die Pinsel gewetzt, den Himmel verätzt und darauf einen Schwan gesetzt. Gerhard Gabel, 1931 in Torgelow im Mecklenburgischen geboren, ist offensichtlich durch den weiten Himmel seiner Heimat vorgeprägt, denn in fast allen seinen großformatigen Ölbildern, die in der Galerie am Neuen Palais hängen, spielt er, verhangen mit rötlichen oder dunklen Wolken, eine zentrale Rolle. Zusätzlich gibt es noch: Wellen, Strand, Ruinen, vornehmlich griechisch-römische, Vögel und Blumen. Alles in Öl auf Leinwand, alles ziemlich groß und abstraktionslos.

Der Himmel schaut auf die sich ihm bietende Szenerie und scheint genauso erstaunt wie der Betrachter, der versucht, die Welten wieder auseinander zu bekommen, die der Künstler da zusammengebracht hat. Es sind ausschließlich Arbeiten aus den letzten beiden Jahren, die von großer Produktivität zeugen. Gerhard Gabel sucht sein Glück in einer eigenen Art der Surrealität. Da klettert mittels einer Leiter eine Reihe kleiner Menschen auf „Die Empore“ am rechten unteren Bildrand, sie ducken sich vor den beiden Pferden, die groß über sie hinwegspringen, die Jockeys mit angespannten Körpern achten darauf, nicht runterzufallen, denn über ihnen thront ein Riesenschwan, dessen roter Schnabel gefährlich scharf nach unten zeigt. Und über allem die dunklen Wolken, die das ganze Unglück anzeigen, aber in der Ebene, die auch ein sanfter Meeresboden bei Ebbe sein könnte, sitzt der Cellist und spielt zufrieden vor sich hin. Wie in der mittelalterlichen Bedeutungsmalerei werden hier Größenverhältnisse scheinbar willkürlich eingesetzt, letztlich wohl, um die Bedeutungslosigkeit des Menschen zu symbolisieren.

Auch Blumen spielen eine übergroße Rolle: Bei „Der Vulkan des Kalypso“ blüht die Orchidee aus dem speienden Berg bis in den rot glühenden Himmel, das merkwürdige Szenario wird wie in den antiken Schäferidyllen von einem Mann mit Hund im Vordergrund bewundert. Odysseus war derjenige, in den sich die Nymphe Kalypso verliebt hatte und ihm Unsterblichkeit versprach, würde er bei ihr bleiben. Das tat er nicht, wir wissen es, offensichtlich aber lebt Kalypso für Gabel in der natürlich auch Geschlechtliches symbolisierenden Orchidee größer als der Vulkan, mächtiger als der Vulkan, lebendiger als der Vulkan weiter. Nun gut. Auch Berlin verknüpft der Künstler mit der griechischen Mythologie: In „Berliner Amazonen“ kratzt sich eine überdimensionale Götterfigur ratlos am Kopf vor dem roten Rathaus, das von bedeutungsperspektivisch kleinen Menschen mit Luftballons umstanden und umtanzt wird.

Die Göttergestalt, nach wie vor im Besitz beider Brüste und darum wohl keine Amazone, ragt hell auf einem Sockel, in den der Bildtitel in kyrillischer Schrift eingraviert ist. Vielleicht hat das Ganze mit der Wende zu tun, vielleicht transportiert Gabel in diesem Bild ja auch eine politische Botschaft, so könnte man vermuten, wenn die Göttin sich haareraufend und erschöpft auf den Turm des Roten Rathauses stützt. Die Arbeiten scheinen angesichts desolater politischer Orientierungslosigkeit eine Flucht in die konkreten Bildwelten der Mythologie und der freien fantastischen Kombinatorik anzubieten. Deshalb werden sie nicht unbedingt schöner, allerdings, das muss man Gabel zugestehen, erlauben sie das Entwerfen ziemlich vieler, sich auch möglicherweise widersprechender Interpretationen.

In „Freudentanz“ ranken rote, gummiartig wirkende, seltsam verbogene, detailarme Körper vegetativ vor einer hellen Wand. Ein Tänzer zeigt mit einem Taschentuch in Richtung des immensen, plumpen Vogels, der sie vom Meer aus beäugt. Es wirkt, als sei die komplette Veranstaltung für dieses tumbe Federvieh arrangiert, ein seltsam seelenloser Tanz, der ein wenig an die verordneten Demonstrationen im heilbringenden Sozialismus erinnert. Die Arbeiten geben der Fantasie Spielraum, das muss man anerkennen, aber ob sie dem Betrachter gefallen, sei diesem selbst überlassen.

Lore Bardens

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