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Wie es ihnen gefällt. Lieder von Heine bis Rammstein singen Andrea Thelemann und Reinmar Henschke, Lieder vom Kommen und Gehen, Geschichten von Gestern und Morgen – aber immer mit eigenem Zungenschlag .

© HL Boehme

Kultur: Wenn der Kreis sich schließt

Der Liederabend „Juckreiz in der Seele“ feiert am Samstagabend Premiere im Hans Otto Theater

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Es ist eben nicht nur ein Haus, das sich dem gesprochenen Wort verpflichtet fühlt: Nein, das Hans Otto Theater hat auch auf musikalischer Ebene viel zu bieten. Zum einen gibt es Musicals – „My Fair Lady“ findet sich ebenso im Spielplan wie etwa „La Cage aux Folles“ –, zum anderen aber auch reine Musikstücke. Erst vor einigen Wochen war Rita Feldmeier zusammen mit Michael Schrodt sowie Pianist Jörg Daniel Heinzmann mit „Sie will, er darf und einer muss“ und ihren Lieblingsliedern zu dritt erstmals auf der Bühne, am morgigen Samstag hat wieder ein Musikabend Premiere: „Juckreiz in der Seele“ lautet der vielversprechende Titel.

Für Andrea Thelemann ist der Liederabend ein Herzenswunsch, den sie schon lange hatte – von Haus aus sei sie nämlich Sängerin, sagt sie. Schon über ein Jahr hatte sie die Idee im Hinterkopf, durchsetzen konnte sie sie bisher jedoch nicht. Vielleicht hat sie aber einfach nur auf den Richtigen gewartet, um dieses Projekt zu verwirklichen: Reinmar Henschke heißt dieser fehlende Part, ein Jazzpianist – und ein ganz alter Freund von Andrea Thelemann. Vor über 30 Jahren waren die beiden während ihres Studiums befreundet, hatten sich damals schon in die musikalische Chanson-Ecke verkrümelt, doch irgendwann trennten sich die Wege freilich. Aber so gute Freunde verlieren sich nie, so groß kann die Welt gar nicht sein. Ein bisschen Wehmut flackert bei Andrea Thelemann auf – und löst sich wieder: „Das ist so ein schöner Gedanke, dass sich der Kreis nach so vielen Jahren schließt“, sagt sie. Henschke lächelt – er überlässt lieber ihr das Wort, genau wie an ihrem musikalischen Abend.

Deutsche Lieder wollten sie im Programm haben, da gebe es so viel, von Heine über Schubert bis zu Jazz und den heutigen Liedermachern – Jazz sowieso, für Sängerin Andrea Thelemann ganz klar. Aber dafür braucht man ja eine Band, das sei viel zu aufwendig – nein: Nur sie und Reinmar Henschke am Klavier, das muss ausreichen. Und gerade die deutschsprachige Musik sei viel zu unterschätzt, fast schon schlecht fühlt es sich an, wenn man verkündet, nur deutsche Lieder zu spielen. Obwohl, sagt Andrea Thelemann, in der DDR hatte deutschsprachige Musik auch einen ganz anderen Stellenwert als heute: „Ich habe damals schon viel deutsche Musik gehört, Lift, Holger Biege“, sagt sie. „Aber es gab eben auch viele Liedermacher, Hans-Eckart Wenzel und Steffen Mensching zum Beispiel.“ Stimmt, die DDR hatte sich irgendwie musikalisch in ihren nationalen Kokon eingewickelt, während im Westen die englische Sprache ins Land geschwappt kam. Schwierig freilich für die Regierung in der Zone, diese ach so westlichen Einflüsse aufzuhalten: Ein massenhafter Import sowjetischer Popmusik wäre ein allzu jämmerlicher Versuch gewesen, diesen Einflüssen etwas entgegenzusetzen. „Diesen neuen Sound kannten wir natürlich aus dem Westradio“, sagt Andrea Thelemann. Und bald fand der sich auch in der Zone wieder: mit Bands wie Silly oder der Klaus Renft Combo, die jazzig-rockige Einflüsse in ihre Musik einbauten. Gleichzeitig gab es aber auch eine oppositionelle Gegenströmung in der DDR, die sich musikalisch manifestierte, mit Gerhard Schöne etwa auf der kirchlichen Seite. Aber auch die als „linientreu“ geschmähten Musiker des „Oktoberklub“ – schnell gerät man in einen historischen Exkurs, in dem man mittendrin die Jugendliche Andrea Thelemann sieht, wie sie an den Knöpfen eines Robotron-Radios dreht.

„Wir fangen in genau dieser düsteren DDR-Zeit an“, so Andrea Thelemann zum Programm des Musikabends, „aber chronologisch wird es nicht, es gibt Brüche.“ Nur irgendwelche alten Diven-Songs, die gibt es nicht im Programm: darauf hatte sie einfach keine Lust. Aber dafür Songs von Bertolt Brecht, Kurt Weill – und natürlich Hanns Eisler. „Bei Eisler muss man ja gar nichts ändern.“ Die anderen Songs dürfen sich aber schon personalisierter anhören, „Die Krähe“ von Franz Schubert bekommt etwa einen jazzig-bluesigen Anstrich. „Das kriegt durch uns einen eigenen Schliff – und das soll es ja auch. Es wäre schön, wenn wir einen eigenen Sound finden.“

Trotzdem: Gibt es eigentlich auch etwas aus der heutigen Zeit, etwas ganz Modernes, Radiotaugliches? Na klar, keine Angst: Rainald Grebe ist dabei, Heinz Rudolf Kunze, Nina Hagen – und sogar Rammstein hat den Weg ins Repertoire gefunden. Mit den ganz neuen Liedermachern konnte sich Andrea Thelemann dann doch nicht so richtig anfreunden, auch wenn sie wirklich viel davon gehört habe in letzter Zeit: „Da gab es ganz unsägliche Sachen“, winkt sie ab. Außerdem hatten es zunächst immerhin 150 Songs in die Auswahl geschafft, irgendwann waren es nur noch 50 dann 30. Außerdem musste ja auch noch Platz für die Wunschlieder sein, „Scherbenglas“ von Lift etwa. Gibt es irgendetwas, was eigentlich dazugehört hätte, aber nicht mit dabei ist? „Billie Holiday!“, platzt es fast heraus aus Andrea Thelemann. Es gebe ja sogar ein Theaterstück über diese einmalige Jazzsängerin. „Aber da bräuchte man ja auch eine Band dafür.“ Aber ach, wer braucht schon eine Band, wenn der beste Freund Pianist ist. Oliver Dietrich

Premiere von „Juckreiz in der Seele“ am Samstag, 9. Mai, um 19.30 Uhr in der Reithalle, Schiffbauergasse.

Oliver Dietrich

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