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Kultur: Wenn der Vater mit dem Sohne

Der Saxofon-Star Zbigniew Namyslowski

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Wie leicht ist es, einer Täuschung zu erliegen. Vor seinem Auftritt im al globe, das sich für diesen Abend zu einem gut funktionierenden Jazzclub verwandelte, macht der in Polen außerordentlich bekannte Saxofonist Namyslowski einen müden und etwas irritierten Eindruck. „Ich versuche mich nur zu entspannen“, sagte er unwirsch. Die dann folgende Antwort des 66-Jährigen auf die Frage, ob er, der die polnische Jazzszene über Jahrzehnte mitgeprägt hat, sein Wissen je an Schüler weitergegeben habe, klingt mürrisch, ja brüsk: „Unterrichten? Ich hasse es.“

Wer daraufhin in Ehren ergraute, autistisch gewordene Jazz-Opis erwartete, die in den Jahrzehnten gemeinsamen Musizierens immer kunstfertiger, aber auch kraftloser geworden waren, lag jedoch völlig daneben. Das folgende Konzert, in der neuen und begrüßenswerten Reihe „Jazz international“ in Kooperation mit der Jazzinitiative Potsdam von Jürgen Börner initiiert, deckte gleich eine ganze Reihe von Täuschungen auf, die zeigen, wie wenig man doch vom nahen Nachbarland weiß. Die überraschendste dabei: Namyslowski umgibt sich ausschließlich mit aufregenden Instrumentalisten, die so jung sind, dass man sie sicher als Schüler bezeichnen könnte. Sie alle werden lernen können.

Die nächste Irrung: Namyslowskis Gruppe, als Quartett angekündigt, erschien als Quintett. Und ferner: der zusätzliche Mann, ein Posaunist, der da die Melodielinien einträchtig und oft unisono mit dem berühmten Frontmann doppelte, war Namyslowskis 23-jähriger Filius namens Jacek. Falsch ebenfalls die Erwartung, die sich auf das musikalische Programm richten. Namyslowskis“ Gruppe hatte nicht im Sinn, polnische Folklore in ihre Arrangements einzubinden, wie es die Ankündigung vermuten ließ. „Das hat mein Vater mal gemacht,“ erklärt Jacek. „Aber in einem ganz anderen Projekt.“

Auf der Bühne vor den weihnachtlich geschmückten Tischen zeigen die Fünf jene faszinierende Zerstörungskraft des zeitgenössischen Jazzes, die angetreten war, das gesamte klassische Harmonieverständnis in seine Einzelteile zu zerlegen. Doch keine Wüstenei ließen die Musiker entstehen, kein nihilistischer Free Jazz ertönte, sondern wilde, spitzwinklig-verschachtelt klingende Fantasiegebäude wurden von ihnen errichtet. Die Zeit in dieser Musik hat plötzlich eine andere Taktung, ein Stück kann eine Viertelstunde dauern und doch sehr schnell vorbei sein.

Posaune, Saxophon, Piano, Schlagzeug und Bass orientieren sich an den Noten vor ihren Nasen, die ihnen Namyslowski geschrieben hat. „Diese Musik“, sagt Sohn Jacek mit ein wenig stolz, „die kann man nur von uns hören, wir spielen nur die Kompositionen meines Vaters.“ Während das Thema eines Stückes vom familiären Duett immer wieder aufgenommen wird, haben die famosen Instrumentalisten genug Raum, ihre Fingerfertigkeit zu zeigen. Michal Baranski am Kontrabass schien zuweilen die technischen Grenzen seines als etwas behäbig geltenden Rhythmusinstruments überschritten zu haben. Slawomir Jaskulkes Läufe perlten meisterhaft in das vieltönige Geschehen, und immer, wenn die kreiselnden Thematik wieder zu Zbigniews Saxofon gelangt, kehrt ein Stück Ordnung und Weitsicht ein. Das Publikum dankt den Solisten jeweils mit dem typischen, anerkennenden Szenenapplaus.

War nun Zbigniew Namyslowski, der gefeierte polnische Jazzstar, mürrisch und unnahbar? Keineswegs, nur zurückhaltend, humorvoll und bescheiden. Wie es ist, als Legende zu gelten? „He, Mann, ich lebe doch noch,“ lautet seine Sicht. Und: „Ich hasse den Titel Legende.“

Matthias Hassenpflug

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