
© HL Böhme
Von Heidi Jäger: Wenn die Musik immer leiser wird
Morgen hat das Kinderstück „Wie hoch ist oben?“ am HOT Premiere: Es erzählt über den Tod
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Er scheint der Kinderbeauftragte des Hans Otto Theaters zu sein. Mit „Wie hoch ist oben?“ bringt der Gastregisseur Andreas Rehschuh am morgigen Donnerstag bereits sein drittes Stück für das junge Publikum in Potsdam zur Premiere. Man darf gespannt sein, ob es ihm erneut gelingt, mit Sinnlichkeit und Fantasie die Bühne zu füllen. Sowohl sein „Drachenreiter“ als auch „Momo“ trafen die Kinder mitten ins Herz und auch Eltern und Großeltern bekamen angesichts der lebensprallen Zauberwelt glänzende Augen. Nun wagt sich Andreas Rehschuh, der keine Angst vor Emotionen hat, an ein Thema, das selbst die Großen gern verdrängen: den Tod.
Bereits Sechsjährige sollen in dem Stück von Brendan Murray mit dem unumkehrbaren Verlust eines geliebten Menschen konfrontiert werden. „Oje! Wie macht man das?“, fragte sich nicht nur Andreas Rehschuh, als man ihm die deutsche Erstaufführung antrug. Er setzte sich bereits lange vor Probenbeginn mit dem Thema auseinander, um einen geeigneten Weg zu finden. „Ich möchte den Tod über die Liebe zum Leben erzählen“, sagt der 41-Jährige und vertraut dabei mit auf sein „symbiotisches Team“.
Es werde durchaus auch heiter zugehen: in dieser Geschichte von Großmutter Ba Gia und ihrer Enkeltochter Sternchen. Beide leben zusammen und beackern gemeinsam ihren Garten, erleben das Wachsen und Vergehen. Als Ba Gia vom eigenen nahen Tod erzählt, ergreift Sternchen die Flucht. Alles, was ihr bis dahin sicher schien, wird auf einmal unsicher. Das Mädchen ahnt es und verweigert sich dem komplett. Gemeinsam mit dem „Vogel ohne Flügel“, der keine Hände mehr hat und bereits Verletzungen kennt, macht sie sich auf die Reise zu einem Zauberer, der die Zeit anhalten soll. Dabei treffen sie auf die Zauberer des Windes, des Regens und des Schnees, nicht ahnend, dass in allen die gute Seele Ba Gias steckt. „Sternchens Entwicklung auf dem Weg des Erkennens ist gegenläufig zu der ihrer Großmutter, die sich verabschiedet. Man spürt den Reifeprozess des Mädchens.“ Andreas Rehschuh glaubt, dass es dem Zuschauer Spaß machen wird, die Figuren zu begleiten und dass er auch mit ihnen leidet. „Es wird den Kindern Wärme und Verständnis entgegenschlagen, so dass sie auch den Verlust verkraften. Wir werden nichts dämonisieren, aber auch nichts verkleinern. Die Kinder sollten schon wissen, in welches Stück sie da gehen.“
Bei den meisten seiner Inszenierungen bezieht der Regisseur im Vorfeld seine beiden eigenen Kinder als Testpersonen mit ein. „Mein inzwischen fünftes Kinderstück, das ich jetzt nacheinander in Magdeburg und Potsdam inszeniere, lief parallel zu ihrer Entwicklung. Ich weiß, wie sie ticken und auch, was sie komplett blöd finden.“ So schmökert der Papa abends mit seinen acht- und elfjährigen Sprösslingen nicht nur in Geschichten von Cornelia Funke und Erich Kästner oder in der Fantasiewelt von Harry Potter, er liest ihnen auch aus „seinen“ Bühnenstücken vor – und merkt sofort, wenn Sohn oder Tochter abschalten. Auch bei den Kostümen werden sie oft vor die Frage gestellt: Könnten Zwerg Nase, der Gestiefelte Kater oder eben Drachenreiter und Momo so aussehen? Meist liegen er und seine Frau, die Kostümbilderin Grit Walther, auf einer Wellenlänge mit dem Nachwuchs.
Bei „Wie hoch ist oben?“ gab es diesen familiären Check up nicht. „Es ergab sich nicht, daraus vorzulesen. Für dieses Thema braucht es Raum und Verantwortlichkeit. Man muss eine gute Minute erwischen.“ Bei der Premiere sind sie aber auf jeden Fall dabei. „Wir werden sehen, wie tief es die Zuschauer berührt und ob es gelingt, dass sie am Ende wieder auftauchen. Wenn Gesprächsbedarf besteht, werden wir dazu bereit sein.“ Er vertraue ganz auf seine Sicht, „aber es ist immer spannend, ob es auch so eintrifft“, sagt der Regisseur in seiner zupackenden und doch besonnenen Art.
Aus dem Kindergarten seiner Tochter, wo er mitunter als Vorleser zu Gast war, weiß er, dass Kinder heute oft nicht mehr trainiert sind, zuzuhören. „Man muss es also schaffen, sie mit dem Geschehen auf der Bühne zu fesseln. Aber das gilt auch für das Erwachsenentheater“, so Andreas Rehschuh, der 2004 für sein Regiedebüt der „Ringelnatz-Geisterstunde“ von der Zeitschrift „Theater heute“ als bester Nachwuchsregisseur genannt wurde.
Seinen bisherigen Erfolg beim Publikum sieht er in der Teamarbeit mit begründet, die auf alle Berufsfelder des Theaters setzt. „Gerade die Kunst des Kostümbilds wird oft weggedrückt. Dabei steckt in ihr schon ganz viel Körperlichkeit und Charakter, die das Spiel mit vorgibt. Und auch die Musik sollte nicht zufällig ausgesucht, sondern während der Proben mit entwickelt werden.“ Für „Wie hoch ist oben?“ sei sie wie ein Tanz: „ein Tanz, der in uns allen ist, leicht und heiter, und der am Ende immer leiser wird. Akkorde der Schwere und Düsternis werden weniger angeschlagen. Wenn sie im Inneren entstehen, ist das etwas anderes.“ Wie in seinen anderen Inszenierungen steht ihm neben Grit Walther erneut der Komponist Gundolf Nandico zur Seite. „Wir können rücksichtsvoll rücksichtslos miteinander umgehen: ein sehr assoziatives Arbeiten mit viel Freiräumen.“
Der gebürtige Magdeburger, der in Dresden aufwuchs und heute in Leipzig zu Hause ist, setzt auch sehr auf die Ensemblearbeit mit den Schauspielern. Da er selbst Schauspieler ist, weiß er genau, wie es sich anfühlt, auf der Bühne zu stehen: „im Guten, wie im Schlechten. Es ist Lebenszeit, die wir sehr intensiv miteinander verbringen. Deshalb ist es mir wichtig, ein Arbeitsklima zu schaffen, das freudvoll ist, ohne dass man miteinander ,kuschelt’.“ Während der sehr bewegten Proben dürften sich alle alles trauen. Und oft spielt er auch selbst mit. „Von den acht Stunden sitze ich vielleicht 20 Minuten. Spielen hat immer etwas mit Begreifen zu tun. Und das haben wir jetzt auch mit einem so ernsthaften Thema wie den Tod versucht.“
Premiere am morgigen Donnerstag um 10 Uhr in der Reithalle. Für Kinder ab sechs Jahren.
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