
© Mike Wolff
Kultur: Wenn Hass in Gewalt umschlägt
Der Förderkreis des Hans Otto Theaters bringt „Mit Tötungsdelikten ist zu rechnen“ auf die Bühne. In dem dokumentarischen Stück geht nicht nur darum, wie nah uns der Rechtsextremismus ist, sondern auch, welche Wunden er hinterlässt.
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Es sind Beispiele, auf die das Team um Lea Rosh sehr gut verzichten kann. Doch sie machen deutlich, wie aktuell und präsent Rechtsextremismus in unserem Alltag ist. Lea Rosh spricht von einer Narbe, die Irmela Mensah-Schramm ruhig zeigen soll. Doch die beschwichtigt. Noch könne von einer Narbe nicht die Rede sein, dafür ist die Wunde noch zu frisch.
Lea Rosh, Vorsitzende des Förderkreises des Hans Otto Theaters, hat am Dienstag zu einem Pressegespräch zur bevorstehenden Premiere von „Mit Tötungsdelikten ist zu rechnen“ eingeladen. Neben ihr auf dem Podium im Hans Otto Theater sitzt Irmela Mensah-Schramm, die eine von acht Darstellern in dem dokumentarischen Theaterstück ist. Irmela Mensah-Schramm wird sich selbst spielen, ihr unermüdliches Engagement seit nunmehr 30 Jahren gegen Nazi-Schmierereien und Aufkleber mit rechten Botschaften. Von den Rechten wird sie als „Zeckenoma“ beschimpft, sie selbst bezeichnet sich als „Politputze“. Und weil ihr Einsatz gegen rechtsextremistische Tendenzen in Deutschland nicht allein auf das Entfernen von Schmierereien und Aufklebern besteht, war Irmela Mensah-Schramm am vergangenen Mittwoch auch in Dresden mit dabei, als es am Jahrestag der Zerstörung der Elbmetropole vom 13. Februar 1945 mal wieder darum ging, einen Naziaufmarsch zu verhindern. Am Dresdener Hauptbahnhof kam es zu Auseinandersetzungen, es flogen Steine. Irmela Mensah-Schramm, die gerade fotografierte, traf ein Stein am Kopf. Die Wunde zieht sich jetzt von der Nasenwurzel bis hoch zum Haaransatz. Ein tiefroter Strich. Irmela Mensah-Schramm sagt, dass sie Glück hatte. Es hätte sie schließlich schlimmer treffen können.
Wie weit rechte Verblendung Menschen treiben und wie schlimm deren Hass wüten kann, haben die Taten von Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt vom Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) gezeigt. Zehn Morde, zwei Bombenanschläge und 15 Banküberfälle in den 14 Jahren, in denen Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt im Untergrund lebten. Auch diese Extremform des Rechtsextremismus wird in „Mit Tötungsdelikten ist zu rechnen“ thematisiert.
Vor mehr als zwei Jahren sind Lea Rosh und die Autorin Renate Kreibich-Fischer mit ihrer Idee eines Theaterstücks über rassistische und rechtsextremistische Tendenzen im deutschen Alltag an den Regisseur Clemens Bechtel herangetreten. Doch der hielt das damals nur für eine mittelmäßige Idee, wie Bechtel am Dienstag sagte. Aber da er mit Lea Rosh und Renate Kreibich-Fischer schon erfolgreich in den Dokumentarstücken „Staats-Sicherheiten“ und „Vom Widerstehen“ zusammengearbeitet hat, vertraute er auf deren Gespür. Und wurde Ende 2011, als langsam die Dimensionen des Nationalsozialistischen Untergrunds nach dem Selbstmord von Mundlos und Bönhardt und der Inhaftierung von Zschäpe bekannt wurden, von der Brisanz des Themas förmlich überrollt.
Es ist nicht nur die Frage, wie sich rechtsextremistische Tendenzen in ihren unterschiedlichen Variationen bis hin zum Terror des NSU in unserer Gesellschaft entwickeln können, die in „Mit Tötungsdelikten ist zu rechnen“ aufgegriffen werden soll. Es gehe auch um die Frage, so Bechtel, wie nah uns dieser Rechtsextremismus ist, wie stark er schon in unsere Bürgerlichkeit wirkt. Wie reagieren wir? Handeln wir oder schauen wir doch nur weg?
Neben Irmela Mensah-Schramm stehen die SPD-Politikerin Eva Högl, die derzeit im Parlamentarischen Untersuchungsausschuss zur Aufklärung der NSU-Morde arbeitet, und Manuela Ritz, eine schwarze Deutsche, die im sächsischen Mügeln aufgewachsen ist, mit auf der Bühne. Mit Kevin Müller wird ein ehemaliger Rechter zu Wort kommen, der vor drei Jahren aus der Neonaziszene ausgestiegen ist. An seiner Seite steht Lothar Priewe, für mehrere Jahre stellvertretender Integrationsbeauftragter in der Uckermarck und Kenner der dortigen rechten Szene. Unter dem Pseudonym Bernd Fischer wird ein Berliner zu Wort kommen, der von Versammlungen und Propaganda bis hin zu Übergriffen rechtsextremistische Vorfälle alles in der Hauptstadt sammelt und dokumentiert. Bechtel hofft so, vor allem auch durch die Gegenüberstellung von Opfern und ehemaligen Tätern Strukturen und Wirkungsmechanismen der rechten Szene offenzulegen. Gleichzeitig soll aber auch der Umgang mit dem Rechtsextremismus durch staatliche Institutionen wie Verfassungsschutz, Polizei und Staatsanwaltschaft, deren vollständiges Versagen bei den Ermittlungen zu den NSU-Morden und dem katastrophalen Umgang mit den Opferfamilien dieser Morde, die innerhalb der Ermittlungen sehr schnell in die Täterrolle gedrängt wurde. Eva Högl, vor allem auch geprägt durch ihre Erfahrungen im Parlamentarischen Untersuchungsausschuss zur Aufklärung der NSU-Morde, kann in diesem Zusammenhang nur von einem umfassenden Versagen staatlicher Institutionen sprechen.
Ergänzt werden diese dokumentarischen Elemente durch drei Schauspieler, die Szenen aus bekannten rassistischen und rechtsextremen Exzessen nachstellen. Exzesse, wie die Übergriffe auf Ausländer im August 1992 in Rostock-Lichtenhagen, der rechtsradikale Übergriff auf acht Inder nach einem Straßenfest in Mügeln im August 2007 und das Wüten des NSU. Für Bechtel besteht gerade darin der Reiz, dass hier Dokumentarisches auf Schauspiel trifft und dadurch neue Bezugsebenen entstehen. Clemens Bechtel betonte, dass in „Mit Tötungsdelikten ist zu rechnen“ – der Titel ist ein Zitat, entnommen einem Bericht des Bundeskriminalamtes zum Thema Rechtsextremismus aus dem Jahr 2011 – kein fiktiver Text zu hören ist, sondern nur Dokumentiertes. Und dann sprach er noch von der Angst, die ihm erst im Laufe des Probenprozesses bewusst geworden sei.
Es ist die Angst einiger Beteiligter wie dem Aussteiger Kevin Müller oder Bernd Fischer aus Berlin, die sich mit dem Stück an eine breite Öffentlichkeit wenden. Eine Angst, in der sich vielleicht am stärksten die Auswirkungen dieses Rechtsextremismus in unserer Gesellschaft zeigen.
Die Premiere am Samstag, dem 23. Februar, ist ausverkauft. Für die Vorstellungen am 1. und 5. März, jeweils um 19.30 Uhr in der Reithalle in der Schiffbauergasse, gibt es noch Restkarten an der Kasse im Hans Otto Theater
Dirk Becker
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