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Musik und Physik: Wenn Musiker zu den Sternen greifen

Die Kammerakademie und das Einstein Forum suchen bei „KAPmodern“ Schnittmengen zwischen Physik und Musik

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In dieser Partitur steht nicht eine Note. Dafür enthält sie Sonne, Mond und Sterne und erinnert an ein Kindermalheft. Die von dem Komponisten Mauricio Kagel in seiner Partitur eingezeichneten Symbole geben indes genau die Zeit und den Weg vor, wann die Himmelskörper auftauchen und wieder verschwinden, wann der Wind pfeift und der Regen prasselt. Sie sind der Kompass für die Musiker, die bei dieser provokanten Komposition aus dem Jahr 1965 ihre Instrumente stehen lassen. Stattdessen nehmen sie Sonne, Mond und Sterne als Requisiten in die Hand und „musizieren“ allein gestisch diese Geschichte der „Himmelmechanik“, die im Zusammenprall der Gestirne und damit in der Katastrophe endet.

Für die Aufführung dieses selten aufgeführten Werkes hat sich die Kammerakademie Potsdam in ihrer Reihe „KAPmodern“ den Berliner Regisseur Horst Lonius an die Seite geholt. Er „dirigiert“ die Musiker durch diese unhörbare Musik und möchte eine spielerisch-fantastische Szenerie entwickeln, in der es zwar keine Musik, aber immerhin Geräusche gibt. „Wir gucken uns das Werk an wie Kinder und lassen uns überraschen. Denn hier erzeugen Bilder die Klänge und nicht umgedreht – wie sonst in der Musik. Wir hören Musik, die gar nicht geschrieben wurde“, so Lonius. „Unausgesprochenes Musiktheater“, nannte es der 2008 verstorbene Mauricio Kagel.

Ansonsten ist aber durchaus auch „richtige“ Musik zu hören, bei diesem „KAPmodern“-Konzert am kommenden Montag im Foyer des Nikolaisaals. Diese Veranstaltung, in der die Schnittmenge aus Moderner Musik und Moderner Physik erforscht werden soll, ist ein erstes Zusammengehen von Kammerakademie und Einstein Forum. Zum Auftakt der insgesamt drei geplanten Konzerte geht es um „Quantensprünge – Komponierte Formeln“. Dem Konzert geht ein Vortrag des amerikanischen Musikwissenschaftlers und Dirigenten Leon Botstein voraus, der im Einstein Forum am Neuen Markt über „New Spheres of Sound“ erzählt. In englischer Sprache.

Im Konzert geht es weniger elitär und wissenschaftlich zu, denn dort kann man bei den sieben Werken der Moderne, die die acht Musiker zur Aufführung bringen, allein auf sein Gefühl vertrauen. „Der Vortrag wird zum Nachdenken anregen und das Konzert soll Assoziationen auslösen. Im günstigsten Fall verschränkt sich beides“, hofft Kontrabassist Tobias Lampelzammer, der seit drei Jahren gemeinsam mit den Kollegen Bettina Lange und Friedemann Werzlau die 2007 begründete Reihe konzipiert und sich über eine steigende Zuhörerschaft freut. Er hofft natürlich, durch diese neue Reihe ein neues Klientel anzusprechen, das dann auch den Weg vom Einstein Forum in den Konzertsaal findet. „Unsere Reihe KAPmodern versucht aber, eine breite Zuhörerschicht anzusprechen. Moderne Musik ist ja meist nur hermetisch abgeriegelt zu hören, wo Experten unter Experten sitzen. Aber Musik, die nicht rezipiert wird, ist sinnlos“, betont Lampelzammer. Er ist überzeugt, dass diese neue Musik viel leichter zu verstehen ist, als die meisten glauben. Und so kompliziert und abstrakt sich das Thema „Quantensprünge – Komponierte Formeln“ vielleicht für manche anhört, stecken doch ganz greifbare Dinge dahinter, physikalische Phänomene, die uns im Alltag begegnen. Bei Steve Meckey war der Auslöser für seine „physikalische Musik“ das Downhill, ein extremer alpiner Skisport, der sich offensichtlich geradezu göttlich anfühlten muss in seinem grandiosen Abheben zum Flug. Das Gefühl zwischen höchster Anspannung und Erschöpfung setzte Meckey in Noten. „Das alles muss der Zuhörer keineswegs wissen. Er soll sich einfach nur berühren lassen und sich seinen eigenen Bildern hingeben. In der Musik gibt es kein richtig und falsch“, so Lampelzammer. Und dieses Konzert werde sich keineswegs wie eine trockene Physikstunde anfühlen. Die Zuhörer sind dabei, wie Helmut Lachenmann einen Ausflug zum „Nichts“ unternimmt oder Rebecca Saunders sich in „Stirrings Still“ in die Sphäre des Un(be)greifbaren nach Samuel Becketts gleichnamigen Prosa-Stück vorwagt.

Aber in der Musik gibt es eben auch etwas Gestisches: der theatrale Ausdruck der Orchestermitglieder, wie ihn die Zuhörer im Konzertsaal ganz unmittelbar erleben. Wenn die Musiker über ihre Instrumente streichen, sie anatmen und hineinblasen, sich kurze Blicke zuwerfen. „Das alles hat eine große Energie“, so Lonius. Und die gibt es nun pur bei der „Himmelmechanik“, wenn die Musiker Gesicht zeigen und zu den Sternen greifen.

Montag, 28. Januar, 18.30 Uhr, Einstein Forum, Am Neuen Markt, Vortrag „New Music: Spheres of Sound“ von Leon Botstein (Eintritt frei); um 20.15 Uhr Konzert im Nikolaisaal-Foyer, Wilhelm-Staab-Straße 10/11. Karten für 15 Euro unter Tel. (0331)2888828

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