Kultur: Wenn Sprache foltert
Peter Handkes „Kaspar“ mit Schauspielstudenten ab Donnerstag am Hans Otto Theater
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Was passiert, wenn Menschen aus gewohnten Sprach- und Sprechmustern ausbrechen? „Es irritiert bereits, wenn ein Dialogpartner lediglich etwas zeitversetzt antwortet. Der andere ist verunsichert: Was ist los, hab ich was Falsches gesagt, ist er sauer?“ Im nüchternen Proberaum des Hans Otto Theaters sitzt Regisseur Fabian Gerhardt an einem langen, leeren Tisch, ähnlich wie die Schauspieler im Stück „Kaspar“, dessen Premiere am morgigen Donnerstag in der Reithalle stattfindet. Ein Stück über Sprache als Machtinstrument.
Peter Handkes „Kaspar“ sei allerdings eher eine Art Oratorium mit vielen Ensembleszenen, so Fabian Gerhardt. Er jedoch brauchte für die Inszenierung acht gleichwertige Sprechrollen, denn die Schauspielstudenten in der Koproduktion von Babelsberger Filmhochschule und Hans Otto Theater sollten nach ihren Möglichkeiten besetzt werden, sich individuell zeigen dürfen. Es entstand ein – wenngleich abstrahiertes – Rollentheater, Gerhardt passte die Sprachstruktur den Bedürfnissen der Darsteller an.
Auch im Stück steht die Sprache im Mittelpunkt. Auf eine Rahmenhandlung verzichtete seinerzeit Handke sowie jetzt der Regisseur Fabian Gerhard. „Kaspar ist ein handlungsablehnendes Stück, es ist das Thema, die Problematik, die dem Stück Struktur verleiht: Wie viel Einfluss hat die Sprache unserer Umwelt, aber auch die allgegenwärtige virtuelle Welt auf unsere Wahrnehmung, unser Verhalten und unsere Persönlichkeit?“
Die Figur Kaspar ist eindeutig angelegt als ein Kaspar Hauser, ein Findling, ein unbeschriebenes Blatt, jemand, der sich unvorbereitet und hilflos in einer ihm fremden Welt wiederfindet. Er kennt nur einen Satz, den er vor sich hin spricht: „Ich möchte ein solcher werden, wie einmal ein andrer gewesen ist.“ Am Ende des Stücks wird er resigniert sagen: „Schon mit meinem ersten Satz bin ich in die Falle gegangen.“ Da ist es bereits zu spät, Kaspar wurde vom System in die Gesellschaft eingepasst. Das Werkzeug ist die Sprache, er durchläuft ein Spacherziehungsprogramm, um ein Mitglied der Gesellschaft zu werden. „Sprechen bedeutet funktionieren“, sagt Gerhardt.
Bei Peter Handke heißt die Spracherziehung Sprechfolterung. Sein Kaspar erlebt eine Gehirnwäsche von unsichtbaren sogenannten Einsagern, körperlosen Stimmen, bis er funktioniert, sich über die Sprache in die Gesellschaft eingliedern lässt – nach deren Regeln und unter Verlust von Individualität. 1968, zur Uraufführung des Stücks, war Handkes Aufstand gegen den Konformismus etwas ganz Neues. Die angehenden Schauspieler in dem Alter, in dem Handke damals den „Kaspar“ schrieb, stellten sich bei der Stückentwicklung folglich die Frage: Wo ist der Stoff gealtert, was bedeutet er heute, wie kann man das aktualisieren?
„Heute führen wir einen veränderten Diskurs: Wir glauben, Individualismus zu leben, stattdessen erfahren wir zunehmende Gleichschaltung, durch Medien oder virtuelle Kommunikationsportale“, sagt Gerhardt. Der Einzelne wird mithilfe eines Katalogs vereinbarter Phrasen, Sprachbausätze, charakterisiert, festgelegt, abgeheftet. Bei Facebook beispielsweise werde dem individuellen Menschen eine passende Schablone zugeordnet.
Kaspar ist diesem Prozess hilflos ausgeliefert. Heute allerdings sehen die Kaspar Hausers anders aus. Sie kommen nicht aus der Wildnis, sondern werden anders isoliert. In jeder Familie, jedem sozialen Gefüge würden Menschen unterdrückt, manipuliert, abhängig oder gefügig gemacht. „Je enger die Bindung, desto größer die Verletzbarkeit“, sagt der Regisseur.
Die Szenen, die das verdeutlichen, oft kurze, erschreckend brutale Sprach-Begegnungen, beispielsweise am Abendbrottisch, wurden gemeinsam mit den Studenten entwickelt. Was Unangepasstheit bedeuten kann, wissen viele aus eigener Erfahrung. „Im dritten Studienjahr macht man sich Gedanken, wo man ein Engagement finden wird, ob man dafür gut genug ist oder mehr dafür tun müsste“, sagt Gerhardt. „Sie müssen jetzt funktionieren, das ist ein starker Druck.“
Auch Kaspar funktioniert am Ende, doch es ist ein Alptraum, aus dem er nicht aufwachen kann. Ein versöhnliches Ende, einen Ausweg, kann das Stück nicht bieten. „Wir geben keine Antworten, wir stellen Fragen“, sagt Gerhard.
Die Arbeit mit Studenten geht auf eine längere Tradition zurück. Die Inszenierung unter realen Bedingungen, im professionellen Rahmen, wird vom Hans Otto Theater als vollwertige Produktion angesehen. Sie bietet Gelegenheit, Erfahrungen zu sammeln, auch die, dass das Theater den Schauspielern einen gewissen Raum an Freiheit bietet. „Auf der Bühne, da darf er sein, wie er ist“, sagt Gerhardt. Peter Handke ließ sich mit 25 Jahren auch nicht den Mund verbieten. Und eckte mit seinem Impuls, alles grundsätzlich infrage zu stellen, auch bei Kollegen an. In der Inszenierung von Gerhardt wurde auf den didaktischen Zeigefinger, der „Kaspar“ noch anhaftet, jedoch verzichtet. „Wir wollen durch ausgelöste Emotionen sensibilisieren“, so der Regisseur.
Die Premiere findet am morgigen Donnerstag um 19.30 Uhr in der Reithalle, Schiffbauergasse, statt. Der Eintritt kostet zwischen 7,50 bis 22 Euro
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