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Kultur: Wenn Tanz zur Musik wird

Laura Heinecke kehrte in ihre Heimatstadt zurück. Ihr Solo „Calling“ zeigt sie jetzt im „freiland“

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Als erstes sind da diese Füße. Langsam rollen sie vom Ballen über die Ferse ab, die Muskeln sind fest angespannt und werfen im Scheinwerferlicht dunkle Schatten. Minutenlang ist der Blick der Zuschauer allein auf dieses zeitlupenartige Schweben gerichtet. Dieses Fußsolo nimmt gefangen und schürt Neugierde: auf den Rest des Körpers, der anfangs hinter einer Wand verborgen bleibt. Schließlich erobert Laura Heinecke mit ihrem ganzen Körper die Bühne und trumpft zur Musik von Arne Assmann mit einer humorvollen Leichtigkeit auf, die an den französischen Film „Amélie“ erinnert.

Nun sitzt diese junge Tänzerin mit dem langen rotbraunen Haar und den zarten frechen Sommersprossen bei einem Kräutertee im Café und erzählt, wie sie auf diese besondere Idee des „Fuß-Monologs“ in ihrem Tanzsolo „Calling“ gekommen ist. Inspiriert wurde sie durch die kleinen Tapsen ihrer Tochter. Ursprünglich hatte Laura Heinecke vor, gemeinsam mit Mira über die Bühne zu „füßeln“, um imaginäre Abdrücke zu hinterlassen. Kleine Füße, große Füße, Füße, die hochgehoben, weitergetragen werden. „Füße erzählen noch nicht alles, aber sie spielen mit der Ahnung.“ Doch Lauras Tochter ist mit ihren zwei Jahren noch etwas zu klein für die Bühne. Und so griff die Mutter schon mal vor und sorgte allein für einen zauberhaften Fuß-Prolog in ihrer ersten eigenen abendfüllenden Choreografie.

Lange war die junge Frau mit der natürlich sympathischen Austrahlung aus Potsdam weg. Nach sieben Jahren trugen sie ihre Füße nun wieder in die Heimat. Mit ihrem getanzten Liederabend „Calling“, der kürzlich im Studentischen Kulturzentrum Kuze Premiere hatte und am kommenden Wochenende im „freiland“ erneut zu sehen ist, meldet sie sich voller Esprit zurück. Laura Heinecke sprudelt gerade zu über, wenn sie über Potsdam erzählt, über ihre Stadt, die sie mit 17 Jahren verließ und die jetzt wieder zu ihrem Zentrum geworden ist.

Die ersten künstlerischen Schritte ging sie bereits mit acht Jahren im Offenen Kunstverein in Potsdam: damals noch mit dem Malstift. Ihr Vater, der Fotograf Bernd Gurlt, hatte sie eines Nachmittags auf dem Gelände der Schiffbauergasse abgeliefert, wo um 14 Uhr ein Zeichenkurs beginnen sollte. Das Mädchen irrte über das unwirtliche Gelände, eine ganze Stunde lang, und kam sich ziemlich verloren vor, obwohl sie sich bereits sehr erwachsen fühlte. Eine Stunde später lief ihr dann endlich Sabine Raetsch über den Weg, die Leiterin des Kunstvereins. Der Zeichenkurs begann erst 15 Uhr. Solche Episoden sind es, die sich in der Erinnerung einbrennen, und die irgendwann vielleicht zu künstlerischen Bildern gerinnen. Wie das Baden im Heiligen See, das sie in der Fremde so vermisste, und das sie jetzt assoziativ auf die Bühne bringt, wenn sie ihren Kopf in eine runde Glasschale steckt. Dieses Abtauchen in die Tiefe war für sie ein extremes Gefühl von Freiheit. „Das habe ich in Freiburg, im Breisgau, wo es nur hässliche Baggerseen gibt, extrem vermisst.“

Freiburg war der Ort, an dem sie unbedingt ihre Tanzausbildung machen wollte. „Alle Fächer haben mich da interessiert.“ Laura wusste immer recht genau, was sie wollte und was nicht. Als sie Fotos von einer Kanutour durch Kanada gesehen hatte, entschied sie: Da will ich hin. „Und mein Vater, der in der DDR immer das Gefühl der Begrenzung erlebt hatte, schob es mit an.“ Sie erhielt über die Austauschorganisation AFS mit 17 Jahren die Chance, in den französischsprachigen Teil Kanadas zu reisen. In die Sprache, die ihr immer nahe war. Auch ihre Tochter erzieht sie zweisprachig, obwohl Miras Vater kein Franzose ist. Aber auch er mag die Melodie dieser Sprache.

Ihr erstes kurzes Solo kreierte Laura Heinecke in Brüssel, der Metrolpole des zeitgenössischen Tanzes. Sie erhielt den Auftrag, zum Thema 20 Jahre Mauerfall eine Choreografie zu erarbeiten. „Ich gehöre ja zu der Generation, die die Mauer nicht mehr bewusst erlebt hat, also zur Generation der grenzenlosen Möglichkeiten, die schnell auch zur Überforderung führen können. Man wird ja fast erschlagen von den sich bietenden Chancen und es ist schwer, herauszufinden, was man wirklich will.“ Sie erinnert sich, wie sie auf der Hochzeit einer Freundin dieses Solo getanzt hat und manche so berührt gewesen sind, dass sie weinen mussten.

Laura Heinecke fühlt sich im Moment genau am richtigen Platz: vor allem im Sinne der Planungsfreiheit. Wenn sie probt oder Aufführungen hat, kümmern sich Großvater oder Uroma um das Enkelkind. Da Miras Vater in Frankfurt am Main arbeitet, kommt er nur am Wochenende. Es ist aber nicht nur diese Sicherheit, die die Tänzerin zurückzog. „Potsdam ist extrem Heimat, allein die Luft, das Licht, die Seen.“

Bevor sie sich an ihr Solo „Calling“ heranwagte, arbeitete sie in Brüssel in einer Compagnie. „Es ist ein großer Schritt, aus der Gruppe herauszutreten. Aber in einem Kollektiv zu arbeiten bedeutet natürlich, wahnsinnig viele verschiedene Meinungen zusammenzubringen.“ Sie wollte schauen, was sie allein aus sich herausholen kann. Eine kleine Produktion sollte es werden, die in ihr Auto passt und die sie überall zeigen kann. Und jetzt passen neben den Requisiten auch noch zwei Schlafsäcke in den Kofferraum.

Was aber ist das Besondere an ihrem Tanz, das dieses leise Strahlen in die Gesichter der Zuschauer zaubert? Laura Heinecke überlegt lange. „Das Wichtigste ist mir, das Publikum mitzunehmen. Ich bin kein Freund von Langeweile und vom Abgehobensein.“ Sie möchte Menschen für ihr tägliches Leben inspirieren. „Natürlich dürfen Dinge auch traurig oder melancholisch sein, aber ich möchte mit meiner Arbeit nicht in Krisen hineinstoßen. Mein Tanz soll so etwas sein wie ein Waldspaziergang und ein bisschen Kraft mitgeben für den nächsten Tag.“

Gerade weil das Leben seine Ecken und Kanten hat, richtet sie die Lupe auf die schönen Dinge des Lebens. Wie auf die Musik. „Es ist so belebend, schöne Musik zu hören. Und ich fragte mich: Was muss ich tun, dass mein Tanz so schwingt, als wenn man ein Konzert hört?“ Vielleicht indem er die Schwingungen des Herzens trifft. Man wird berührt und weiß nicht warum. Das ist es, was Laura Heineckes Tanz wohl am besten beschreibt.

Privat sei sie indes gar nicht die fröhliche unbeschwerte Frau, die nur gute Laune verbreitet. „Meine Oma sagte oft zu mir: ,Laura, Kind, sei doch nicht immer so ernst’.“ Andererseits habe sie ein Gespür für Situationskomik, und die lässt sie gern auch in ihre Arbeit einfließen.

„Gerade als Mutter einer fast dreijährigen Tochter muss ich die ganze Zeit vernünftig sein und irgendwelche Regeln aufstellen und einhalten. Da tut es auch mal gut, sich auf der Bühne ein Glas über den Kopf zu stülpen oder in einem Kühlschrank zu sitzen und an einer Möhre zu knabbern.“ Natürlich an einer Bio-Möhre. Denn Laura Heinecke isst nur Bio. „Alles, was ich tue, hat Konsequenzen“, betont die junge Frau, die vor der Geburt der Tochter oft in Meditation versank. Sie schaut sich die Dinge gern genauer an. Nur für sich, ohne andere missionieren zu wollen. „Es macht einen Unterschied, innerlich zu wachsen oder immer weiter zu expandieren“, sagt sie und umkreist damit schon das Thema ihres nächstes Stückes. Wieder will sie etwas Eigenes machen, denn sie passe nicht so gut in Schubladen. Diese Ernsthaftigkeit gehört genauso zu Laura Heinecke wie das leichtfüßige Schweben über die Bühne.

16./17. November, jeweils 20.30 Uhr, „freiland“, Friedrich-Engels-Straße 22, Eintritt 13/7 Euro

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