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Wehe, wenn die Verwaltung kommt. Friedemann Eckert als Anzugträger in Potsdam  Kundus.

©  HL Böhme/HOT

Von Dirk Becker: Wer glaubt da noch an Frieden?

Die Premiere von „Potsdam – Kundus“ – Eine Tour de Force in mehreren Akten

Stand:

Osama bin Laden ist hier nur einer dieser mickrig-blassen Buchhaltertypen. Bart- und turbanlos faselt er vom Warten auf die Nachricht aus New York. Irgendwo in Afghanistan am 11. September 2001, wo er mit ein paar Getreuen um ein Radio hockt und mit wachsender Genugtuung die Meldungen vom Doppelanschlag auf das World Trade Center vernimmt.

Eric Breininger alias Abdul Gaffar el-Almani, der „Dschihadist aus Deutschland“, der im April 2010 bei Kämpfen in Pakistan ums Leben kam, ist hier nur ein bartloses Jüngelchen. In einen Anzug gesteckt, wirkt er unbeholfen wie ein Bankazubi im ersten Lehrjahr. Und mit fast kindlicher Begeisterung und haarsträubender Ernsthaftigkeit faselt er vom Heiligen Krieg und dem Glück des Märtyrertums.

Franz Josef Jung, CDU-Politiker und bis zum Oktober 2009 Bundesverteidigungsminister, tritt uns entgegen, wie wir ihn nicht anders kennen: Im Schafspelz des Hochpolitischen, im Anzug natürlich und faselt auf einer Trauerfeier für zwei gefallene Bundeswehrsoldaten von Mitgefühl und Betroffenheit.

Willkommen in der Wirklichkeit, die einem ausgerechnet im Theater Wort für Wort, Zitat für Zitat so gnadenlos um die Ohren gehauen wird, dass am Ende, nach knapp zwei Stunden, angefüllt mit Monologen, Dialogen und Wortgefechten, nur noch Ratlosigkeit und Hilflosigkeit übrigbleiben.

„Potsdam – Kundus“ ist der Titel des dokumentarischen Theaterabends, der am Mittwoch in der Reithalle Premiere hatte. „Der schwierige Weg zum Frieden in Afghanistan“ ist diese Tour de Force in mehreren Akten für sechs Schauspieler und sieben „Mitwirkenden“, Menschen also, die über ihre Arbeit, ihre Verbindungen mit Afghanistan reden, unterschrieben. Und wer nach dieser packenden und so erschütternden, so simplen und gleichzeitig so wuchtigen, so verzweifelt und so wütend machenden, also so grandiosen Inszenierung mit ihren so unspektakulär großartig agierenden Schauspielern noch immer glaubt, dass Afghanistan auf dem besten Weg zum Frieden ist, kann nur ein unverbesserlicher Gutgläubiger oder ein ausgemachter Narr sein.

Wer „Potsdam – Kundus“ aber nach den zwei Stunden verlässt und nicht so recht weiß, wo ihm der Kopf steht. Dessen Meinungsgefüge ordentlich durchgeschüttelt ist und der sich hundeelend fühlt wegen der Situation in diesem Land am Hindukusch, den hat Clemens Bechtel, verantwortlich für Konzept, Buch und Regie, an der richtigen Stelle erwischt. Und es bleibt zu hoffen, dass sich die vielen Fragen, die „Potsdam – Kundus“ hinterlässt, tief in das Denkfleisch bohren und lange, sehr lange nachwirken.

Schon der erste Blick auf die noch leere Bühne macht klar: Hier reagiert das Scheitern. Umgeworfene Möbel, dieses unpersönliche, kantige Tisch- und Sitzholz, wie es in jedem Büro, jeder amtlichen Einrichtung zu finden ist. Dazwischen hat Bühnenbildner Till Kunert unzählige Akten gelegt, mal in Schränken, mal auf dem Boden verstreut. Umrahmt wird dieser chaotische Verwaltungszirkus, in dem sich keiner mehr zurecht zu finden scheint, von Tafeln, an denen bedrucktes Papier hängt, DIN A4. Beschlüsse, Petitionen und was nicht noch alles, mit denen die Politik tagein tagaus kilometerweise Papier füllt und die in der Realität oft nicht einmal das Papier wert sind, auf dem sie stehen. Will der Westen heute die Welt retten, geht das nicht ohne den entsprechenden Verwaltungserschwerungsapparat. Und egal, wie das Ergebnis am Ende aussieht, Hauptsache es gibt für jede noch so abwegige Eventualität die entsprechend seitenlange Anweisung.

Langsam füllt sich die Bühne mit den Protagonisten dieser Aktenwelt, in der der Anzug die mehr oder weniger gut sitzende Uniform ist. Und in dem Chaos melden sich Marcus Kaloff als Osama Bin Laden, später Friedemann Eckert als Eric Breininger und ein besonders wandlungsfähiger und prachtvoll glattgegelter Christoph Hohmann als Franz Josef Jung zu Wort. Es beginnt mit dem 11. September 2001, geht weiter zum Petersberger Abkommen, in dem im Dezember 2001 die Schritte zur Entwicklung geordneter und demokratischer Verhältnisse in Afghanistan festgelegt wurden. Es folgt die Loya Jirga vom Juni 2001, dem sogenannten „Meilenstein für die Zukunft Afghanistans“, dieser großen Ratsversammlung nach vier Jahrzehnten, die Hoffnung auf Demokratie in dem vom Krieg geschundenen Afghanistan wecken sollte und am Ende die neu zu verteilende Macht wieder nur unter den bekannten Bluthunden des Kampfes aufteilte.

Anonyme Bundeswehrsoldaten kommen zu Wort, aber auch die Bundeswehrärztin Heike Groos, die in ihrem Buch „Ein schöner Tag zum Sterben“ vom Anschlag auf den Bundeswehrbus im Juni 2003 in der Nähe Kabuls berichtet, bei dem vier Soldaten getötet und 29 verletzt wurden. Oberst Georg Klein äußert sich, der den Befehl gab für den verheerenden Luftangriff am 4. September 2009 auf zwei durch Taliban entführte Tanklastwagen auf einer Sandbank bei Kundus, bei dem 91 Jungen und Männer ums Leben kamen. Dazwischen immer wieder Videoeinspielungen von Vertretern der Regierung und der Bundeswehr, von unabhängigen Hilfsorganisationen und „Ärzte ohne Grenzen“.

Es sind fast ausschließlich Originalzitate, die hier durch die Schauspieler in wechselnden Rollen vorgetragen werden. Darstellerisch passiert hier nicht viel, es genügt, wenn die Worte wirken. Doch wenn Nele Jung und Michael Schrodt aus der Loya Jirga berichten, wird die Wut und Verzweiflung greifbar und dem Zuschauer wieder einmal schonungslos vor Augen geführt, dass Politik eigenen Regeln folgt. Kalkül und Verlogenheit, auch wenn beide noch so offensichtlich Hand in Hand gehen, werden hier als der Staatsweisheit letzter Schluss verkauft und obwohl man das alles schon längst weiß, kochen in einem Wut und Ohnmacht hoch ob dieser Arroganz und Dreistigkeit.

Regisseur Bechtel, der unter anderem das erfolgreiche Dokument-Theaterstück „Staats-Sicherheiten“ inszeniert hat, führt in „Potsdam – Kundus“ niemanden vor. Ob Soldaten oder Entwicklungshelfer, ob Hilfsorganisationen oder Ärzte, er lässt sie auf der Videoleinwand oder durch die Schauspieler zu Wort kommen und über ihre Bemühungen reden. Je mehr man davon hört, umso mehr überträgt sich die Rat- und Hilflosigkeit dieser Menschen auf einen selbst. Und man erkennt, welche ein Absurdistan der Westen sich mit seinem Engagement geschaffen hat. Nur die Politik schont Bechtel nicht. Und im Grunde reicht hier die herrliche Szene der sogenannten „Kundus-Debatte“ im Bundestag, um endgültig zu begreifen, dass Politik das größte und schlechteste, das verlogenste und durchtriebenste Kasperletheater war und wohl auch bleiben wird.

Am Ende von „Potsdam – Kundus“ kommt die in Afghanistan geborene Terishkova Obaid zu Wort und erzählt von der enttäuschten Hoffnung der einfachen Menschen in ihrer Heimat. Sie fragt, was der Westen wohl für ein Land in Afghanistan sieht. Eine Frage, die so einfach scheint. Und in diesem Moment wird einem die eigene Hilf- und Ratlosigkeit fast schon schmerzhaft spürbar.

Nächste Vorstellung am 27. Januar

Dirk Becker

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