Kultur: Wer liebt, stört
Schillers „Kabale und Liebe“ im Potsdamer Theaterhaus Am Alten Markt
Stand:
Schillers Vater traute sich erst gar nicht zuzugeben, dass er das politisch so anzügliche Stück seines Sohnes überhaupt besitze. Bei der Uraufführung 1784 war das Publikum vor Begeisterung schier aus dem Häuschen und feierte Schillers aufwühlende Worte in einem Freudentumult, den auch Presseanfeindungen und Spielverbot nicht wegreden konnten. Die Geschichte von der moralisch bodenlosen Übergriffigkeit einer nimmersatten Polit- und Wirtschaftskaste auf das Lebensglück der kleinen Leute erhitzte die Gemüter.
Schiller hatte die Leidenschaft eines einfachen Bürgermädchens zu einem jungen Mann aus höchsten Kreisen in das verzweigte Netz von Konventionen gestellt, die allesamt gen Himmel stinken. So opfert der machtbesessene Vater das Leben seines Sohnes auf dem Altar falsch verstandener Staatsraison. Ohne Rücksicht auf Verluste werden hundsgemeine Lügen erpresst, die ganze Familien ins Unglück stürzen. Eine Hand wäscht die andere, wenn es gilt, die gemeinsamen Leichen im Keller versteckt zu halten. Und hinter all dem Übel wie immer: nur die geistlos plumpe Gier nach Macht, Sex und Geld. Aber genau vor dieser wollte Schiller warnen. Unsere „Herzen gegen Schwächen zu schützen“ galt ihm „als das Geheimnis, den Menschen vor Verschlimmerung zu bewahren“. Dafür griff der Autor des hochgestimmten Tones auch in die obersten Schubladen menschlicher Seelenkunde. Seine Figuren sind in ihren philosophisch feinnervigen Verästelungen und in ihrem bravourös artikulierten Wissen um Würde und Wert menschlichen Daseins geradezu Zierden unserer Gattung, die mit der Wucht antiker Tragödien aufschlagen. Nur eben wie hier in einem deutschen Wohnzimmer, in dem neben der hochfliegenden Sentenz auch der Humor zuhause ist.
Um beide ringt Gisbert Jäkels Aufführung (Regie und Ausstattung) im Hans Otto Theater eindringlich und formbewusst, wortwahr und gefühlsstimmig. Die Blechbüchse wird zur intimen Kammerbühne, in der auch der Zuschauerraum mitspielt. Kein Spekulieren mit angesagten Bühnentrends, keine Angst vor Langeweile, statt dessen großmütige Hingabe an alle Gefahren und Vorzüge Schillers.
Am schönsten erfasst dies Adina Vetter als Luise. Plötzlich werden alle Worte lebendig. Sie gibt die Gefühle und Gedanken ihrer Rolle so authentisch, dass man ihr mit Leichtigkeit auf jede Schillersche Gedankenhöhe gerne folgt.
Moritz Führmanns Ferdinand tat sich da schwerer. Mit weicher, warmer Stimme bis zu den Liebesofferten der Lady Milford (Anne Lebinsky zwischen fahriger Hysterie und schmerzhaft lakonischem Realismus) sehr zurückgenommen, verschwand dieser Ferdinand oftmals hinter einem seltsam entrückten Weichzeichner. Klaus Manchen umgeht mit seinem Präsidenten zwar alle Klischees vom messerscharfen Bösewicht, findet dafür aber meist nur zur behäbig-verschmuddellten Prolligkeit eines Potentaten, der einen Campingplatz der Beletage vorzieht. Tobias Rott klemmt seinen mausgrauen Sekretär Wurm als erloschenes Leben aus zweiter Hand durch die Szenen, das aufblüht, wenn es fies kalkulieren darf. Andreas Herrmann zeigt im Hofmarschall von Kalb die köstliche Studie einer tänzelnden Spieluhr, der Maske und Attitüde zum echten Leben wurden.
Diese dreieinhalb Stunden Schiller im Hans Otto Theater sind ihrer langen Rede durchaus wert, auch wenn der Proporz in Sachen Aufmerksamkeit mehr bei den Figuren liegt, die Leid erdulden denn verursachen. Luises und Ferdinands tragischer Tod bleibt der Preis für ein Gesellschaftsspiel, in dem auch die vermeintlichen Gewinner Verlierer sind.
Ulf Brandstädter
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: