Kultur: Wider die Gleichgültigkeit
Beeindruckende Friedensmeditation mit dem Vocalkreis Potsdam in der Friedenskirche
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Beeindruckende Friedensmeditation mit dem Vocalkreis Potsdam in der Friedenskirche Von Peter Buske Selten hat die Friedenskirche ihrem Namen so entsprochen wie an diesem Abend des 11. September, als sie ihre Pforten zu einer musikalischen Meditation über den Frieden öffnete. Viele Potsdamer nahmen die Einladung des Vocalkreises Potsdam und seines Leiters Matthias Jacob an, um gemeinsam mit Potsdamer Komponisten und ihren Novitäten darüber nachzudenken, was für ein kostbares Gut friedliche Zeiten eigentlich bedeuten. Goethe hat darüber in seinem „Faust“ nachgedacht. Nichts Besseres weiß einer seiner Osterspaziergänger, als „ein Gespräch von Krieg und Kriegsgeschrei, wenn hinten, weit in der Türkei, die Völker aufeinander schlagen“. Danach kehre man abends froh nach Haus „und segnet Fried und Friedenszeiten“. Solcher Gleichgültigkeit suchte die Veranstaltung „da pacem“ den Stachel des Widerspruchs einzusenken. Frieden, jenen Zustand nach Waffenruhe und Aussöhnung zwischen den Krieg führenden Parteien, kann man erbitten und erflehen, aber auch einfordern. Kein geringerer als Heinrich Schütz (1585-1672) wusste mit „Verleih uns Frieden gnädiglich“ und „Gib unsern Fürsten und aller Obrigkeit“ davon ein eindringliches Lied zu singen. Er hatte den Dreißigjährigen Krieg nicht nur erlebt, sondern auch hautnah durchlitten. Mit seiner „Geistlichen Chormusik“ (1648) sah er dem Westfälischen Friedensschluss daher hoffnungsfroh entgegen. Nichts gegen die Absichten und das Können der Jetztzeitkomponisten, aber Schützens Bekenntnisse zu gottseligem Frieden hinterließen mir durch die mit einkomponierten Leidenserfahrungen den stärksten Eindruck. Gleich zu Beginn der wortwörtlichen Stunde der Besinnlichkeit erklungen, ließ der Vocalkreis durch seinen bewegenden A-cappella-Gesang eine starke Identifikation mit dem Vorzutragenden erkennen. Die gut gebildeten Stimmen intonierten klar und sauber, klangen gediegen zusammen und ließen es auch an Geschmeidigkeit nicht mangeln. Stimmtechnische Vielfalt war ihnen dann bei den Kompositionen bekannter Potsdamer Komponisten abverlangt, die sie mit Engagement zur Uraufführung brachten. Kurz angebundene „Kyrie“-Rufe eröffnen Gisbert Näthers gleichnamige Vertonung des Liturgietextes. Trockenen Tonfalls vorgetragenen, unterbrechen diese die melodische Linie des oft wiederholten „eleison“-Wortes. Näthers Stück greift Schützens herben Redetonfall auf, transponiert ihn ins Heute. Sehr gelungen auch die Motette „Ach Gott, vom Himmel sieh darein“ auf Luther-Texte und Bibelzitate (in heutigem Deutsch) von Bernhard Opitz. Kanonisch angelegt, sind dieser Vertonung, von sangbaren Linien durchwoben, ungewöhnliche Intervallsprünge fremd. Unangestrengt wurde sie angestimmt. Wie friedensschön es sein könnte, wenn Schwerter zu Pflugscharen und Spieße zu Sicheln würden, erzählt die Motette „Das Himmelreich“ von Ludwig Walter. Allerdings ein frommer Wunsch – wie die Erfahrung lehrt. Die weitgehend traditionelle Vertonung erklang sehr weichgetönt, woran die in der Höhe total unangestrengt singenden Soprane Anteil hatten. Wolfgang Thiels „Dona nobis pacem“ (Herr, gib uns den Frieden) keinesfalls bettelnde, sondern einfordernd vertonte Bitte durchmisst vom Sprechgesang bis zum dissonanten Aufschrei ein breites tonsetzerisches Spektrum. Zwischen das vielgestaltige musikalische Begehr um Frieden waren diesbezügliche verbale Botschaften gestreut. Klaus Büstrin las intensiv-verhalten davon, dass es – laut Reinhold Schneider anno 1944/1945 – allein den Betern noch gelingen kann, das Kriegsende herbeizubeschwören. Vom gemeinsamen Friedensverständnis der drei Religionen kündete der kurze Ausschnitt aus der Predigt von Rabbiner Robert Kaelter zur Einweihung der neuen Synagoge zu Potsdam von 1903: „An diesem Ort will ich den Frieden geben“. Potsdams katholischer Propst Klaus-Günter Müller trug das biblische „Spottlied auf den König von Babel“ mit leider nur wenig spottendem Tonfall vor. „Keine Zeit zum Abschiednehmen“ fand dagegen Beatrix Gerstberger, die in ihrem Bericht – gelesen vom evangelischen Stadtpfarrer Martin Vogel – davon erzählt, wie sie ihren Mann, einen Foto-Journalisten, im Kosovo-Krieg verlor. Was sich aus vielen Teilen zu einer bewegenden Aussage zusammenfügte, hätte der zusammenfassenden „Gedanken zum heutigen Tag“ wahrlich nicht bedurft. Die Betroffenheitsworte der Pastoren waren schlichtweg überflüssig. Nachdem Gesualdo di Venosas „Da pacem Domine“ verklungen war, herrschte im Gotteshaus andachtsvolles Schweigen. Auch beim Abgang des Chores klatschte keiner. In Stille ging man auseinander.
Peter Buske
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