
© A. Sommer
Kultur: Wie das plötzliche Erwachen in einem Irrgarten
Der barocke Theatersommer Sanssouci mit „La fête champêtre – Ein Theaterfest auf dem Land“
Stand:
Ganz kurz ist da dieser Gedanke. Vielleicht auch, weil Franz Lasch nicht nur in Potsdam als Clown Locci der Liebling der Kleinsten ist. Aber was wäre, wenn er mit seinem Polichinelle, wie er am Freitag im Schlosstheater zu erleben war, bei einem Kindergeburtstag auftauchen würde? Welches Geschrei wäre wohl lauter? Dass der erschrockenen Kleinen? Oder das der aufgebrachten Muttertiere?
Geschrei war nicht zu hören, als Polichinelle bei der Premiere von „La fête champêtre – Ein Theaterfest auf dem Land“ sein Unwesen trieb. Das Publikum amüsierte sich. Aber eher verhalten. Denn wenn Polichinelle erst sein Kind, danach auch noch Eheweib und einen Offizier, den Henker und selbst Satan den Garaus macht, ist das Lachen ein gebremstes, das einem eher im Halse stecken bleiben möchte.
Das Derbe ländlicher Jahrmarktsfeste, so wie es der Adel gern sehen wollte, war eines der Themen bei der Inszenierung des Potsdamer Musiktheaterensembles I Confidenti im Rahmen des barocken Theatersommers Sanssouci 2011. Eine Sehnsucht nach dem Landleben, geboren in Frankreich im ausgehenden 17. Jahrhundert, die spielerisch mit Musik und Tanz, Maskenspiel und Pantomime, Handpuppentheater und Gesang befriedigt werden sollte. Ein stilisierter Traum vom Leben auf dem Lande, der damals auch in Berlin und Rheinsberg inszeniert wurde.
Mit „La fête champêtre – Ein Theaterfest auf dem Land“ nehmen Regisseur Milo Pablo Momm und Dramaturg Nils Niemann das Publikum ohne große Umschweife mit in eine so ferne und fremde Welt. Die Musik setzt ein, der Vorhang hebt sich, der Tanz beginnt, Pantomimen spielen, der Tenor Paul Hörmann singt und schon ist man mittendrin. Und auch wer das Programmheft vorher genau gelesen hat, wird am Anfang ein gewisses Gefühl der Orientierungslosigkeit wohl nicht verleugnen können. So als wäre man plötzlich in einem Irrgarten erwacht, versucht man sich in dem Treiben auf der Bühne zu orientieren. Und je länger man schaut und lauscht, umso klarer werden die Bezüge zwischen den Versatzstücken dieser traumverlorenen Landlebelei.
Die Musik gibt sich dezent zurückhaltend, als sei sie nur wie die üblichen Naturgeräusche, wie der Wind und das Singen der Vögel, deren Schönheit nur wahrnimmt, wer bewusst zuhört. Cembalistin Sabine Erdmann webt zartfein aus dem Orchestergraben dieses Gespinst, in das Violine und Theorbe, Barockgitarre, Traversflöte und Musette hineinklingen. Am Anfang gibt sich Christine Trinks Violine noch etwas ungehalten, als wolle ihr diese „Landluft“ nicht bekommen. Doch wird der Klang im Laufe des Abends immer voller, gelegentlich kontrastiert vom herrlich-derben Gequäke der Musette, dem barocken Dudelsack.
Dann Franz Lasch mit seinem Polichinelle, ein Glanzlicht von einem Zwischenspiel. Und dann Paul Hörmann im beständigen Rollenwechsel in Nicolas Racot de Grandvals „La Matrone d'Ephèse“. In dieser „Cantate Comique“ trifft eine an dem Grabe ihres Mannes klagende Frau auf einen Soldaten, der einen Gehenkten bewachen soll und schon beginnt das Gebalze. Hörmann spielt hier stimmlich jede Rolle, hebt seinen Tenor bis in den Alt und treibt das lüstern-verliebte Spiel bis zu seinem makabren Ende. Bei so viel Grobschlächtigkeit bleibt der feinen Gesellschaft zur Rettung nur der Tanz. Und den übernehmen die vier Damen der Compagnie L’espace.
Den Höhepunkt findet diese barocke Tanzlust in der Choreografie „La fête champêtre“ von Dramaturg Milo Pablo Momm. Ein ausgiebiges Spiel mit den unterschiedlichsten Formen und Gesten, das einem immer vertrauter wird. Kurz danach ist dieses vielfältige Theaterfest auf dem Lande zu Ende. Und es bleibt das Gefühl, gleich noch einmal in diesem Irrgarten aufzuwachen. Um noch mehr von den zahlreichen Feinheiten und Spielereien dieser bunten Welt in sich aufzunehmen. Dirk Becker
Wieder am 21. und 22. Mai. Weitere Informationen unter www.i-confidenti.de
Dirk Becker
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