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Kultur: „Wie ein Gespräch über den Roman“
Ein Erkenntniswert, den man so nicht hat, wenn man das Buch nur liest.“ Morgen hat „Der Turm“ im Hans Otto Theater Premiere – Gespräch mit Dramaturg John von Düffel Fürs Theater versuche ich diese große Welt auf ein paar Figuren zu fokussieren.“
Stand:
Herr von Düffel, Lust auf ein Streitgespräch?
Ist das jetzt schon die erste Frage?
Ja, ob Sie Lust auf ein Streitgespräch haben in Bezug auf die Premiere von „Der Turm“ im Hans Otto Theater?
Über die Inszenierung kann ich ja nichts sagen. Ich kann mich mit Ihnen nur über die dramaturgische Textfassung streiten. Wenn es darüber Unstimmigkeiten geben sollte, streite ich mich natürlich gern. Aber ich hoffe, dass sich da Einvernehmen erzielen lässt.
Na dann: Grenzt es nicht an Hybris, einen solchen Brocken Literatur, was Uwe Tellkamps Roman „Der Turm“ mit seinen 1000 Seiten und der unheimlichen Vielschichtigkeit ja unweigerlich ist, auf eine abendfüllende Theaterfassung zusammenzukürzen?
Ja, diese Frage ist berechtigt. Aber ich habe natürlich nicht versucht, den Roman nachzuerzählen oder gar das Buch auf die Bühne zu bringen. Das ist ganz und gar unmöglich, denn dieser Roman ist nur durch das Lesen zu erfahren.
Warum dann nicht einfach „Der Turm“ lesen, sondern ins Theater gehen?
Das Theater kann eine dramatische Lesart als eine von vielen verschiedenen Lesarten anbieten, um sich das Buch anzueignen und es zu verstehen. Darin sehe ich meine Aufgabe. Denn erst durch die Arbeit an diesem Roman kann man etwas lernen. Nicht nur ich als Dramaturg, sondern hoffentlich auch der Zuschauer im Theater.
Und wie haben Sie als Dramaturg diesen Roman gelesen?
Es gibt da ja zwei parallel laufende Sprach- und Erzählebenen. Einmal eine geradezu überraschend drehbuchartige, spannende Plotebene, wo die Geschichte eines jungen Mannes und seines Vaters erzählt wird. Der Vater Richard Hoffmann, Chirurg an einem Dresdener Krankenhaus, der sich durch diesen Klinikwahnsinn durchwurschtelt, der fremd geht, der Ängste hat, bezüglich der Entwicklung seiner Söhne und natürlich auch wegen des drohenden Verlusts seiner Familie, seiner Integrität. Und der junge Christian Hoffmann, der als Musensohn startet, große Pläne, literarischen und philosophischen Ehrgeiz hat und der durch das Militär und das DDR-System beinahe gebrochen wird. Das sind zwei unheimlich spannende Geschichten.
Nur zwei von sehr vielen Geschichten.
Daneben hat Uwe Tellkamp in „Der Turm“ noch ein anderes Buch geschrieben. Ein in Metapher ausuferndes, in Bildern und Sprache schwelgendes Buch, dass von einem versunkenen Land in der DDR erzählt, in dem eine Form von Bürgerlichkeit, ein Klassiker- und Sprachkult betrieben wurde.
Und was haben Sie nun aus dieser Vielschichtigkeit für das Theater gemacht?
Am Anfang stehen natürlich immer Entscheidungen, was mir wichtig erscheint, was ich in den Mittelpunkt stellen möchte. In der Theaterfassung stehen der Vater Richard Hoffmann und sein Sohn Christian im Mittelpunkt. Im Laufe der Entwicklung aber rückt Christian immer stärker in den Vordergrund, eine Entwicklung, die so auch im Roman zu verfolgen ist. Vater und Sohn, das sind zwei sehr erzählbare Figuren. Der Onkel, der Lektor Meno, ist eine rein literarische Figur, die in einer dramatischen Lesart für das Theater vorkommen kann, die hier aber nicht eine solche zentrale Rolle spielen kann wie im Roman selbst.
Wie zu erwarten oder auch zu befürchten war: Sie mussten beim Personal also kräftige Streichungen vornehmen?
Ja, das lässt sich auch nicht vermeiden. Der Roman macht im Erzählen eine ganze Welt auf. Fürs Theater versuche ich diese große Welt auf ein paar Figuren zu fokussieren. Das bedeutet natürlich Verzicht.
Und nach welchen Kriterien haben Sie das Turm-Personal zusammengestrichen?
Nach dem Lesen des Romans, wenn ich das Buch zuklappe, frage ich mich, welche Personen mir im Gedächtnis geblieben sind. Wer ist so prägnant, dass ich mit ihm bestimmte Emotionen verbinde und der für mich zum Zentrum des Romans gehört? Wer hat eine Entwicklung durchgemacht, die Handlung vorangetrieben? Wobei mir klar ist, dass dies meine Definition eines Zentrums in diesem Roman ist. Ein andere sieht das vielleicht ganz anders.
Und Ihr Zentrum liegt in den Entwicklungen und Verwicklungen um Christian und Richard Hoffmann?
Vor allem in der Entwicklung von Christian. Neben der Konzentration auf die Handlung, das Geschehen versuche ich natürlich auch immer wieder etwas zu retten von der seltsamen inneren Immigration der Figuren aus diesem Roman in eine Form von Bürgerlichkeit.
Sehr wichtig und regelrecht prägend für „Der Turm“ ist die besondere Sprache. Was haben Sie aus der gemacht?
Auch hinsichtlich der Sprache zerfällt der Roman in zwei Teile. Die Dialogpassagen sind sehr oft handlungsorientiert. Die großen epischen Ornamente und Beschreibungen, die wahnsinnige Bild- und Metapherndichte, diese Ausschweifungen, das Ausladende sind das, wofür Tellkamp ja berühmt geworden ist. Das hat Exkurscharakter und schafft Atmosphäre und den Kontext für die eigentliche Geschichte. Aber das ist nicht das treibende Moment.
Und auf diese besondere Sprache haben Sie nun bestimmt verzichten müssen?
Nein, auch die kommt in bestimmten Momenten zu Wort. Das sind aber nur Inseln in der Handlung, denn natürlich konzentriert man sich bei einer Theaterfassung auf das Thema Konflikt, auf das Thema Motivation und die Bewegung und Richtung der Geschichte.
Und die Tellkampschen Dialoge?
Manchmal habe ich sie bearbeitet und auch leicht verändert. Aber im Wesentlichen sind es die Dialoge, die so in dem Roman stehen. Ich habe nicht Tellkamp imitiert oder nachgeahmt und versucht, in seinem Stil rumzudichten.
Was ist das nun eigentlich, was Sie aus „Der Turm“ fürs Theater gemacht haben? Eine entschlackte Version, ein Türmchen sozusagen?
Zuerst einmal ist es eine perspektivische Verschiebung. Eine Lesart, die sich auf einen bestimmten Teil des Romans konzentriert.
Und wen soll die Theaterfassung von „Der Turm“ nun erreichen?
Entscheidend ist doch, dass eine solche Theaterfassung eines Romans, wie eine gelungene Verfilmung, eine Art Mehrwert schaffen. Ein Erkenntniswert, den man so nicht hat, wenn man das Buch nur liest und dann zuklappt. Das ist wie ein Gespräch über das Buch, viel mehr eine Auseinandersetzung als ein Nacherzählen. Eine Auseinandersetzung, die auch aufregt und polarisiert. Aber vielleicht auch den Zuschauer, der den Roman schon gelesen hat, anregt, sich noch einmal damit zu beschäftigen, weil er jetzt eine andere Sichtweise kennen gelernt hat.
Und der Zuschauer, der dachte, er kann ins Theater gehen und braucht den Roman nicht zu lesen?
Im Idealfall sagt er nach der Aufführung, er will den Roman jetzt doch lesen.
Das Gespräch führte Dirk Becker
„Der Turm“ hat am morgigen Samstag im Hans Otto Theater Premiere. Die Veranstaltung ist ausverkauft. Nächste Aufführung am 4. Dezember, 19.30 Uhr
John von Düffel, geboren 1966 in Göttingen, ist Dramatiker und Schriftsteller. Derzeit ist er Dramaturg des Deutschen Theaters in Berlin. John von Düffel lebt in Potsdam.
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