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Kultur: Wie ein Maler das Leben sieht

Provokant, prall und voll– eine Ausstellung von Johannes Grützke in der Villa Kellermann

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Provokant, prall und voll– eine Ausstellung von Johannes Grützke in der Villa Kellermann Von Lore Bardens Sie drängten, schoben, schubsten sich, um besser, nein, nicht die Kunst, sondern den Künstler sehen zu können. Der hatte sich am Mittwoch Abend auf der Empore der Freitreppe in der schön-morbiden Villa Kellermann zunächst hinter seinem Rotweinglas verschanzt, während noch Restaurantchef Maximilian Dreier und sein Aussteller Manfred Giesler Lobreden auf ihn hielten. Sichtlich beschwingt genoss der 1937 in Berlin Geborene das Bad in der Menge und ließ es sich nicht nehmen, einige seiner Polemiken dem erlauchten Publikum entgegenzuschleudern. Doch empörte sich niemand, als er sein Credo: „Kunstgeschichte wird von Künstlern gemacht“ verlas, man lachte amüsiert. Da hatte man schon die weitaus tabubrechendere Rede des Galeristen Giesler hingenommen, der Liebermann wieder auferstehen, Corinth die „Hand aus der Frau“ nehmen und Caravaggio, Michelangelo und Sauerbruch den Nobelpreis des letzteren versaufen ließ. „Kunst soll stören“ wusste Grützkes fiktiver Kunstprofessor immer wieder zu dozieren, aber die Frage ist, ob Johannes Grützkes Kunst noch stört. Immerhin habe ein Gast sich geweigert, in diesem Ambiente der sehr realistischen „Prächtigkeit“ verzerrter, dominant nackter Körperlandschaften zu speisen, sagte Maximilian Dreier, der bekannte, sicherlich nicht alles zu verstehen, was der Maler an Hintergründigem in sein vielfach allegorisches und vor (Kunst-)Geschichtszitaten strotzendes Werk verpackt hat. Das ist auch gar nicht nötig, reicht doch schon die Fassade, dem Genießer den Appetit zu verhageln, wenn er denn mal genauer auf die Bilder schaut. Nein, nicht nur auf die vielfach variierte Nackte, die auch schon mal per Handtuch ihre Scham reibt, nein, nicht nur auf die zahlreichen kleinformatigen Selbstporträts des Künstlers, der sich scheinbar höhnisch in schiefer Pose dem Betrachter zu- und von seinem Werk abwendet, sondern auch mal auf die großen Formate wie „Sechs Eimer“. Langgestreckt liegt der Hüne am Boden, immer noch dreimal so groß und mächtig wie seine auf ihm stehenden Bezwinger in weißen (Künstler-?) Kitteln, die ihm eimerweise Farbe in den geöffneten Schlund flößen – lauert da hinten nicht die Brille von Grützke? Links neben dem bodenlangen Riesen ein Zwergviolonist, entblößt, immer noch strebend bemüht, sein Instrument zu streichen, obwohl er selbst schon von einer Riesenhand im Zangengriff gehalten wird. Eine sinnfällige, Grützkes Bühnenmalereidramatik gekonnt anwendende Illustration seines wohl lebenslangen Ärgers über jene, die Kunst zu ihren eigenen Zwecken missbrauchen, parasitengleich nutzen, um sich dick und fett und hünenhaft in der Gesellschaft zu gerieren. Ironieverzerrte Brutalität auch im Gute-Eltern-Jargon „Wir zeigen unseren Kindern den Kopf des Despoten“ genannten Großformat, wobei die Kinder alte Gnome sind, einer davon durch Bart und Frisur Hitler verdammt ähnlich sehend. Vor ihnen eine hagere Teufelsgestalt, die einen reizend lächelnden, immensen Dick-Kopf (wie von „Dick & Doof“) hält. Grützke erzählt, prall und voll, von sich, dem, was er sieht, dem „Leben“ nämlich, und es scheint, als sei seine provokante Art ein Lebenselixier. Zwar auch für die Kunstwissenschaftler, aber vor allem für ihn: den Künstler. Zu sehen bis 22. Mai

Lore Bardens

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