zum Hauptinhalt
Hart geworden. Tina Engel spielt als Gast am Hans Otto Theater die vom Leben und der Liebe enttäuschte Mutter Violet.

© HL Böhme

Kultur in Potsdam: Wie ein Pinselstrich

Tina Engel spielt ab morgen am HOT in dem Stück „Eine Familie“. Sie ist die Mutter – „eine Terroristin“

Stand:

Dieser Zeitungsartikel ist wie Zusatznahrung für ihre Rolle. Bevor die Probe weiter geht, überfliegt Tina Engel rasch einen Beitrag über den geschassten IWF-Chef Dominique Strauß-Kahn. „Dieser Kerl betrügt seine Frau in einer Tour und die blättert auch noch ihre Millionen hin, um ihn vor dem Knast zu bewahren. Aber wir denken, wir wissen was. Und eigentlich weiß man gar nichts.“ Sie schiebt die Zeitung beiseite und schon ist die Schauspielerin mitten drin in ihrer „eigenen“ Familiengeschichte. Und für die braucht sie eigentlich keine fremden Tragödien. Was sich in dem Stück „Eine Familie“ von Tracy Letts abspielt, die morgigen Donnerstag am Hans Otto Theater zur Premiere gelangt, hat sich gewaschen.

Tina Engel redet sich geradezu in Rage über ihre Violet, dem tablettensüchtigen Wrack mit Mundhöhlenkrebs, das an der Seite eines alkoholabhängigen Schriftstellers lebt, „von dem seit 50 Jahren schon nicht mehr viel kommt“. Und auch mit ihren Schwiegersöhnen hat sie nicht gerade den großen Fang gemacht. Der große amerikanische Traum vom Familienglück ist kräftig gescheitert.

Seit Wochen hängt die bekannte Mimin in der Rolle der Violet an den Litfaßsäulen der Stadt: mit dem Foto ihrer drei Töchter als Schutzschild vor der Brust. Man ahnt, mit wem man es in dem Stück zu tun bekommt. Doch hinter dem herausfordernden Blick dieser wutschnaubenden Kämpferin steckt auch etwas Verlorenes. „Violet ist eine Terroristin, enttäuscht, frustriert, hart geworden. Sie kann aber auch lieb sein, bloß das sehen wir selten. Sie hat einen scharfen Blick für die Schwächen anderer und quält sie damit. Auch weil sie selbst leidet. Diese Frau ist entsetzlich. Ich mag sie.“

Wenn Tina Engel nach anfänglicher Zurückhaltung so sprudelnd zu erzählen beginnt, schwingt immer ein fröhlicher Unterton mit. Die Balance aus Humor und Tragik in „ Eine Familie“ war es wohl auch, dass sie das Angebot annahm, am Hans Otto Theater erstmals auf der Bühne zu stehen. In einem Ensemble, das sie herzlich aufnahm und in den Händen der Regisseurin Barbara Bürk, die sie vorher nicht kannte und die genauso offen und locker mit den Schauspielern arbeitet wie sie es von namhaften Regisseuren kennt, unter anderem aus ihrer Zeit an der Berliner Schaubühne mit Peter Stein, Luc Bondy oder Andrea Breth. „Es wird überall nur mit Wasser gekocht“ sagt sie und fügt sofort an: „Das meine ich durchaus positiv“. Für sie ist es wichtig, dass sie schon beim ersten Lesen von einem Stoff angesprungen wird. Ansonsten lehnt sie ab. Bei „Eine Familie“ war sie sofort Feuer und Flamme und wollte das Stück selbst inszenieren. Doch für Berlin waren die Aufführungsrechte bereits vergeben und so traf es sich bestens, dass kurz danach die Anfrage aus Potsdam kam. „Dieses Pulitzerpreisstück ist wie ein Pinselstrich. Es hat einen unglaublichen Schwung. Es geht nicht ums Psychologisieren, wie wir Deutschen es machen. Es ist, wie es ist, und das reicht. Ein reines Ensemblestück und es macht Spaß, es zu spielen.“

Noch müsse sie daran feilen, ihre Sucht glaubwürdig rüberzubringen, gesteht sie. „Die Regisseurin will, dass ich diese Abhängigkeit mehr herausstelle. Bislang bleibe ich sehr im Sparsamen. Aber ich habe absolutes Vertrauen zu Regie und Autor. Es kommt, wie es kommt. Ich stelle mich zur Verfügung und schaue, was die Figur mit mir macht.“ Und wenn Violet sich in die Enge getrieben fühlt, wird die Zunge wohl auch schwer werden. „Diese Frau nimmt einen ganzen Mix bunter Pillen: Aufpepper, Downer. Und um diese Medikamente bezahlen zu können, bleibt sie bei ihrem Mann, von dem sie sich innerlich längst getrennt hat, und der sich schließlich ertränkt.“

Verrät die Schauspielerin damit nicht schon das Ende? „Nein, das passiert bereits auf Seite 30 und es liegen danach noch einige Leichen im Keller, die hervorgeholt werden.“ Über die sagt sie jetzt aber nichts weiter. Nur, dass Violet nach dem Selbstmord ihres Mannes mit der Familienlüge aufräumt, die in einem heftigen Betrug besteht. „Was sie durchlebt, sucht ihresgleichen. Wer will schon in einem überhitzten Haus ohne Klimaanlage wohnen? “, zitiert sie aus dem hintersinnig- unterhaltsamenen Stück.

Für Tina Engel sind Familienstrukturen überall die selben, ob in Amerika, Japan oder Deutschland. Doch ganz so wie bei den Beverlys in „Eine Familie“ geht es bei den Engels offensichtlich nicht zu. „Wir leben nicht familiär. Jeder lässt dem anderen seinen Freiraum, auch räumlich .“ Dennoch kann die 61-jährige gebürtige Hannoveranerin, die seit langem in Berlin lebt, in das Stück einiges einbringen. Nicht nur durch die Erfahrungen mit dem 29-jährigen Sohn. „Wir waren Zuhause drei Schwestern und vieles kommt mir vertraut vor.“ Seit über zehn Jahren genießt sie auch beruflich ihren Freiraum. „Frei zu sein ist herrlich“, schwärmt sie, und dehnt das Wort „herrlich“ genüsslich aus. „Für mich ist der Ort, an dem ich gerade spiele, immer der richtige Ort: ob im Renaissance Theater oder am Berliner Ensemble. Und jetzt eben in Potsdam mit dem tollen Blick aufs Wasser.“ Nach dem Intendantenwechsel an der Schaubühne gab es einen rigorosen Schnitt: „Das Alte weg, Neues rein“. Tina Engel fiel in kein Loch. Sie hatte auch schon vorher woanders gastiert und immer mal wieder gedreht, was ihr 1978 in Margarethe von Trottas Film „Das zweite Erwachen der Christa Klages“ das Filmband in Gold einbrachte. War die Rolle der Anna, die in Schlöndorffs Oscar-Preisträgerfilm „Die Blechtrommel“ einen Brandstifter unter ihren Röcken versteckt und dabei geschwängert wird, der Türöffner für solche großen Rollen? „Nein, danach ist nicht viel gekommen. Aber es war auch schwer, neben der Theaterarbeit zu drehen, was dort ohnehin als Blasphemie galt.“

Heute spielt sie im „Tatort“ oder bei der „Soko Leipzig“, inszeniert in Stuttgart, Zürich oder Berlin, hat eine neue Kinorolle in Aussicht und steht jetzt in Posdam mal wieder auf der Bühne. „Eines entwickelt sich aus dem anderen, und ich gehe davon aus, dass das so bleibt“, sagt sie und eilt in ihren roten Crocs, den bunten Kunststoffschuhen aus Amerika, zur Probe davon.

Premiere am morgigen Donnerstag, 19.30 Uhr, Neues Theater

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })