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Kultur: Wie Guben gerettet wurde

Das Ortsnamenlexikon ist mehr als ein Lexikon

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Das Ortsnamenlexikon ist mehr als ein Lexikon Den Bewohnern von Scheißendorf gelang es bereits 1540, ihren Ort in Rosendorf umzubenennen. Kotzen blieb dagegen Kotzen, denn noch 2003 wies die Landesregierung einen Antrag der Gemeinde auf Namensänderung zurück. Im nüchtern als Lexikon daherkommenden Buch „Die Ortsnamen der Länder Berlin und Brandenburg“ ist über 3897 Städte, Gemeinden, Ortsteile Wüstungen und Wohnplätze eine Fülle solcher Geschichtchen versteckt. Im Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte stellte der Direktor des Brandenburgischen Landeshauptarchivs Dr. Klaus Neitmann den Band vor. Er ist Vorsitzender der Brandenburgischen Historischen Kommission und gibt deren Schriftenreihe heraus, im be.bra wissenschaft verlag. Alter, Herkunft und Bedeutung der Namen könnte der Interessent auch mühsam aus dem 12-bändigen Historischen Ortslexikon heraussuchen, dessen erste elf Teile allerdings vergriffen sind. Mit dem von dem Historiker Reinhard E. Fischer verfassten Band erhält er jedoch die Möglichkeit, sich in Minutenschnelle zu informieren. Die Angaben sind leicht fassbar, dazu auf dem allerneuesten wissenschaftlichen Stand. Wäre das Buch, das seit Mitte der 90er Jahre auf Eis lag, früher erschienen, hätten die Stadtverwaltungen beispielweise von Nauen oder Beeskow das exakte Datum der Ersterwähnung nachlesen können. So aber gingen sie unzutreffenden oder umstrittenen Daten auf den Leim und feierten ihre Stadtjubiläen im falschen Jahr. Auch bei der Deutung haperte es bisher. Busendorf verdankt seinen Namen eben nicht einem Seebusen, sondern einem Adligen namens Boso. Glindow geht nicht auf das slawische Wort für Lehm zurück, sondern auf ein altes deutsches für Umzäunung. Für die Buchvorstellung wählte Autor Fischer ein besonders spannendes Kapitel aus: die Umbenennung von Orten. Sie erreichten 1936/37 ihren Höhepunkt. Aus „nationalpolitischen Gründen“ ersetzte das NS-Regime 35 slawische Ortsnamen durch deutsche und strich ein Dutzendmal den Vorsatz „Wendisch“. Gütergotz wurde Güterfelde, Schwina Emstal. Als Beispiel kann man auch Nowawes heranziehen, auf das der Name Babelsberg übertragen wurde. Pech für die Umbenenner: Babelsberg ist ebenfalls slawischen Ursprungs; es geht auf das altpolabische Wort für Biber zurück. Ideologische Gründe hatten auch die Namensänderungen in der DDR-Zeit. Für Drehna fiel der Vorsatz „Fürstlich“, und aus Neuhardenberg wurde Marxwalde. Aus dem Zuhörerkreis berichtete Dr. Heinz-Dieter Krausch, dass Guben damals nur Wilhelm-Pieck-Stadt ohne Zusatz des alten Ortsnamens heißen sollte. Die neuen Briefbogen waren bereits gedruckt, die Bahnhofsschilder ausgewechselt. Erst auf Intervention der Textilindustrie, die ihren international bekannten Markennamen verloren hätte („Gubener Tuche und Hüte - weltbekannt für ihre Güte“), wurde Guben angehängt. Mehr als 30 Orte haben bis heute den ihnen damals aufgezwungenen Namen behalten. Realistisch schätzte Fischer ein, dass eine Rückbenennung erhebliche Kosten verursacht, die aus den leeren Gemeindekassen nicht aufgebracht werden können. Wer das Buch erwirbt, hat eine Rarität, denn die einst bei der Akademie der Wissenschaften angesiedelte Arbeitsgruppe Namenforschung ist aufgelöst. Erhart Hohenstein Reinhard E. Fischer, Die Ortsnamen der Länder Brandenburg und Berlin, be.bra wissenschaft verlag, Berlin 2005, 256 Seiten, 22,90 Euro,

Erhart Hohenstein

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