Kultur: Wie macht man Theater in einer „Idylle zwischen Kasernen“?
Intendant Tobias Wellemeyer stellte sich den Fragen des Publikums und versprach künftig einen Spielplan mit mehr Heiterkeit
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Wenn die Sprache der Bühne sprachlos macht oder verstört, bleibt immer noch das Gespräch danach. Das soll es künftig verstärkt am Hans Otto Theater geben. „Auch wenn es für uns mehr Arbeit bedeutet“, sagt die Schauspielerin Franziska Melzer am Samstag bei einem Annäherungsdiskurs zwischen Theaterleuten und Publikum. „Wir sind nicht die Arroganten, die sich nicht für die Zuschauer interessieren. Und in keinster Weise ist uns Kritik egal“, betonte die charismatische Protagonistin, die mit ihren Schauspielerkollegen Wolfgang Vogler und Bernd Geiling dem Intendanten Tobias Wellemeyer und Dramaturgen Remsi Al Khalisi zur Seite sprangen, um über das eigene Ankommen in der Stadt zu erzählen.
Dem ewigen Rätsel Publikum wenigstens etwas auf die Spur zu kommen, hatte Wellemeyer in die Reithalle eingeladen und eine durchaus stattliche Zahl von Besuchern nutzte die Chance, Impulse und Kritiken loszuwerden, die der Theaterchef mit Neugierde und Respekt zur Kenntnis nahm. Der Intendant, der ansonsten lieber in der zweiten Reihe agiert, konnte vor allem durch das eigene selbstkritische Hinterfragen für sich einnehmen. „Vielleicht haben wir in den ersten 100 Tagen die Ernsthaftigkeit auf der Bühne ein bisschen überbetont. Geben Sie uns Zeit, auch andere Seiten zu zeigen.“ Gerade im Hinblick auf die Gestaltung des neuen Spielplans sei es ihm wichtig, die Sicht des Publikums zu erfahren. Aus dessen Reihen kamen Fragen quer durch die Generationen – so wie sich Wellemeyer auch im Zuschauersaal eine bunte Mischung wünschen würde. Doch derzeit sind die 17- bis 25-Jährigen dort kaum auszumachen, beklagte er. Deshalb wolle er aber keineswegs das ältere bürgerlichePublikum, das bislang vorrangig die Reihen füllt, verprellen, stellte er klar. Er möchte vielmehr, dass die soziale Vielgestaltigkeit Potsdams sich auch im Theater spiegelt. Wie aber an die Besucher herankommen, die sich bereits enttäuscht abwandten? „Wenn sie einmal weggegangen sind, bleiben sie das meist für lange“, so Lea Rosh vom Theater-Förderverein.
Tobias Wellemeyer setzt auf ein vielgesichtiges Angebot. „In der DDR war es schwierig, verschiedene Sprachen zu sprechen. Jetzt können wir es und ich will es auch im Stadttheater. Das heißt nicht, dass wir denken: Wir sind bärenstark und das Publikum ein bisschen doof. Aber ich wünsche mir, dass man auch Zugespitztes aushält.“ Vor allem dafür soll es künftig Einführungen geben, so Remsi Al Khalisi.
Wellemeyer begab sich auf einen kurzen Exkurs in die eigene Vergangenheit, die in Dresden begann, einer Stadt mit starkem Bezug zum 19. Jahrhundert, „ein wunderbarer Dünkel, in dem man sich auch in ideologisch schwierigen Zeiten treu geblieben ist.“ In Magdeburg sei er dann mit einer ganz anderen sozialen Lage konfrontiert worden. Potsdam empfinde er hingegen fast als Weststadt: mit neuer Bürgerlichkeit, vielen Zuzüglern, vielen Geburten. „Eine Stadt, die gebaut ist auf eine widersprüchliche Geschichte: eine Idylle zwischen vielen Kasernen. Ein Gefühl für das Publikum zu entwickeln, ist nie ganz einfach, in Potsdam ist es vielleicht besonders schwer.“
Das Thema Selbstverwirklichung, dem das Streben und Scheitern immanent ist, sei ein Motiv bei der Suche nach Stücken für Potsdam gewesen. Um künftig dichter an die Fragen der Menschen heranzukommen, nehmen die Theaterleute sternenförmig Kontakt zur Stadt auf, zur HFF und Uni, den politischen und kirchlichen Kreisen, zur Jugendarbeit. Auch das Angebot der Autorin Christa Kozik aus dem Publikum, mit Schriftstellern der Stadt zusammenzuarbeiten, wischte Wellemeyer nicht vom Tisch. „Am Ende müssen jedoch interessante Stücke herauskommen.“ Ein Naturwissenschaftler regte an, über die sprunghafte Entwicklung der Biologie und Chemie im Theater zu reflektieren. „Vielleicht können wir mit Autoren rausgehen und die Wirklichkeit erkunden. Vielleicht muss man auch neuartige Formen erfinden“, so Wellemeyer aufgeschlossen. Und so wie er sich selbst zunehmend verortet, fühlen sich auch die Schauspieler angekommen. „Wir wurden schon nach vier Wochen das dritte Mal schwanger“, sagt Wolfgang Vogler lachend, und Franziska Melzer freut sich über die hohe Lebensqualität in der Stadt und ihre Stammkneipe in Potsdam-West.
So wie das Foyer künftig durch eine bessere Lichtgestaltung heller strahlen soll, will sich das Haus insgesamt heiterer zeigen. Doch das muss zuvorderst auf der Bühne angezettelt werden. Gespräche können nur sekundieren. Aber auch das kann Spaß machen. Heidi Jäger
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