Kultur: Wie Robinson
Joseph Anton Kruse sprach über Heine in Potsdam
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Dass Heinrich Heine einen Wohnsitz in Potsdam nahm, sei wohl eher ein Zufall gewesen, sagte Joseph Anton Kruse bei seinem Vortrag am Sonntag in der Villa Quandt. Das bedeutet jedoch keineswegs, dass Potsdam keinen literarischen Niederschlag in den Texten des bekanntesten deutschen Dichters im Ausland gefunden hat. Professor Kruse förderte eine beachtliche Anzahl von Bonmots, Sentenzen und Anekdoten mit Potsdam-Bezügen zu Tage und fügte diese zu einem heiteren Mosaik zusammen. Vielleicht waren es pragmatische Gründe, wie eine bessere Bezahlbarkeit und der Wunsch nach Ruhe, die bei Heines Wahl des Wohnsitzes im Hohen Weg 12, der heutigen Friedrich-Ebert-Straße, eine gewisse Rolle spielten.
Joseph Kruse muss es wissen. Kaum jemand ist so gut mit Leben und Werk von Heinrich Heine vertraut wie er, der mehr als 30 Jahre das Heinrich-Heine-Institut in Düsseldorf geleitet hat. Für seinen Vortrag schöpfte er nicht nur aus Heineschen Originalquellen, sondern berücksichtigte ebenfalls Korrespondenz-Partner.
Dass Potsdam nur eine kurze Episode im Leben des weitgereisten Dichters und Schriftstellers darstellt, wundert angesichts dessen ungeheurer Mobilität nicht. Davon zeugen nicht nur Heines überaus zahlreiche Wohnungswechsel und Reisen. Das genau beobachtete „Treiben in Politik, Gesellschaft und Kultur“ beschrieb Heine mit Witz, Ironie und Phantasie. Mit dem so kreierten literarischen Stil voller geist- und phantasiereicher Anspielungen und Assoziationen wurde Heine auch zum Urvater des Feuilletons.
Die vier Monate in Potsdam von April bis Juli 1829 bildeten eine vergleichsweise ruhige Episode im Leben des Dichters, dessen kritischer Geist mit hochsensibler Empfindungsgabe einherging. Der Romantiker, der Dichter der Liebe, fandt schon 1822 Gefallen an den Marmorstatuen im Park von Sanssouci. Sieben Jahre später kam er vornehmlich zum Arbeiten nach Potsdam. Allenfalls Ausflüge nach Berlin zu den Varnhagens, Mendelssohns und mit seinem Freund Eduard Gans unterbrachen Heines Einsamkeit, der sich in Potsdam „wie Robinson auf seiner Insel“ fühlte und hier „nichts als Himmel und Soldaten“ sah. Einmal geriet der Liebhaber des weiblichen Geschlechts im Neuen Garten gar in eine „Damengesellschaft von dicken Potsdamerinnen“ und fühlte sich unter ihnen wie „Apoll unter den Kühen das Admet“.
Nein, Komplimente gab es weder für die Damen noch für die Stadt als solche. Vielmehr erinnerte Heine die Stadt an ein Denkmal Friedrichs des Großen, „seine öden Straßen“ erschienen ihm wie die hinterlassenen Schriftwerke des Philosophen von Sanssouci, als „steinerne Makulatur“. Auch die künstliche Parkanlage von Sanssouci stieß ihn ab. Mit spitzer Zunge sprach Heine da von einem „gewärmten, grünangestrichenen Winter“. In den Erinnerungen an Potsdam blieben Einsamkeit, Krankheit, Zahnschmerzen insbesondere.
Bei so viel Unbill erstaunt es, dass das Rätsel der Liebe von Heine mit einem Verweis auf Potsdam gelöst wird. Im siebten Kapitel der „Bäder von Lucca“ heißt es im typisch grotesken Phantasiestil: „Dieselbe Sonne, die im Niltal Ägyptens Krokodilleneier ausbrütet, kann zugleich zu Potsdam an der Havel die Liebessaat in einem jungen Herzen zur Vollreife bringen – dann gibt es Tränen in Ägypten und in Potsdam.“ Zufall oder nicht – dass Heine bei Potsdam an die Liebe gedacht hat, ist wohl die bemerkenswerteste Frucht seines kurzen Aufenthalts. Babette Kaiserkern
Babette Kaiserkern
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