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Auf verdorbener Grundlage. Der Arzt Tomas Stockmann (2.v.l., René Schwittay) mit seiner Frau (l., Meike Finck) und seiner Tochter (r., Patrizia Carlucci) sowie Redakteur Billing (hinten, Florian Schmidtke) im verseuchten Wasser.

© HL Böhme

Kultur: Wie sie alle so sind

Markus Dietz Inszenierung von Henrik Ibsens „Ein Volksfeind“ am Hans Otto Theater zeigt, dass ein starker Stoff und viel Aufhebens auf der Bühne allein noch keinen Gesellschaftskommentar ausmachen

Stand:

Es sei das Stück der Stunde, heißt es von allen Seiten. Aus Bonn war es zum Theatertreffen 2012 eingeladen, derzeit zweimal in Berlin zu sehen. Das muss doch etwas heißen! Die Rede ist von Henrik Ibsens „Volksfeind“, geschrieben 1883, und gerade tatsächlich auf erstaunlich vielen Bühnen der Republik zu Gange. Seit vergangenem Freitag auch hier in Potsdam. Was ist das also für ein Stück, das unsere Stunde offenbar so nervgenau trifft? Und, auch das dürfen wir an einem solchen Theaterabend fragen: Welche Stunde schlägt uns?

Viel schlauer entlässt einen die Inszenierung von Markus Dietz bei allem bühnentechnischen Aufhebens, aller schauspielerischen Anstrengung leider nicht, dies vorweg. Doch zunächst das Stück: Es ist ein Leichtes, sich ein paar immergültige Motive herauszugreifen und sie auf unsere Zeit zu beziehen, eine Zeit, in der politische Interessen vom Geld und publizistische von Anzeigenkunden gelenkt werden. Das war schon 1883 so, Ibsen hat es im „Volksfeind“ aufgeschrieben. Der Arzt Tomas Stockmann deckt darin einen Skandal auf: Das Wasser in dem Badeort, in dem er arbeitet, ist verseucht. Stockmann will die Menschen warnen. Aber die Presse, die ihm zunächst Unterstützung versprach, weigert sich, seinen Artikel zu drucken. Der Grund: Der Abdruck eines enthüllenden Artikels würde zutiefst unpopuläre Maßnahmen – erhöhte Steuern, ausbleibende Badegäste, und folglich auch: ausbleibende Leser und Anzeigenkunden – bedeuten. Aus dem gleichen Grund will auch die Politik, in Gestalt des Bürgermeisters, der pikanter Weise auch Stockmanns Bruder ist, das Skandalon lieber verschweigen. Ja: Faulig sind die Pfähle, auf denen unsere Demokratie steht! Neu ist das nicht.

Warum erlebt das Stück also gerade jetzt so einen Boom? Es denkt die genannten Missstände weiter ins Extrem. Es ist dies ja auch eine Zeit, in der jüngst ein selbsternannter Ritter einer mutmaßlichen europäischen Reinkultur gegen den feindlichen Multikulturalismus ins Feld zog – gegen eine vermeintlich verblendete Mehrheitsgesellschaft. Den Hass auf die stumme Macht der Mehrheit hat der norwegische Massenmörder Breivik mit Ibsens zwiespältigem Protagonisten gemein. Wie im Übrigen auch mit Mauritz Kaltmeister aus Tellkamps „Eisvogel“ – da scheint sich ein Thema für die Potsdamer Spielzeit anzukündigen. „Rottet die aus, die in Lügen leben!“, brüllt Ibsens Bürger Stockmann, der Arzt und Familienvater, auf dem Höhepunkt seiner Wut in Akt vier. „Rottet das Volk aus!“

Die Inszenierung von Markus Dietz zeigt von Anfang an, wo sie hin will, nämlich zum Pathos dieses Ausrufs. Sein „Volksfeind“ kocht auf höchster Flamme. Schon über dem Badeidyll, das die Bühne (Ines Nadler) eingangs aufmacht, plustern sich akustisch bedrohliche Streicher auf. Bald kommen groß projektierte Videos dazu: ein ästhetisch sprudelnder Quell, später ein Boxkampf und Nahaufnahmen der Protagonisten. All das verheißt nichts Gutes – dabei wird sich in dem nur knöchelhoch gefüllten Planschbecken anfangs so unbeschwert wohl gefühlt. Frau Stockmann (Meike Finck) gibt Würstchen aus, der Redakteur Billing (Florian Schmidtke) wälzt sich wohlig in die Nähe der Stockmann-Tochter Petra (Patrizia Carlucci), Chefredakteur Hovstad ist hier eine Frau (Melanie Straub), sehr adrett im Bikini. Auch zwei weitere Stockmann-Kinder dürfen mitplantschen: ein Familien-Event eben. Als aber die Sache mit der Verseuchung zur Sprache kommt („Das Bad ist eine Pestbeule“), flüchten die Gäste panisch auf Tische und Stühle. Am lustigsten Michael Schrodt als Verleger Aslaksen, der es schafft, sich mithilfe eines Stuhls in kleinen Hüpfbewegungen in Richtung Badehaus zu robben. Ein guter Versuch, aber trocken bleibt an diesem Abend keiner der Spieler. Hut ab vor der Tapferkeit, mit der sie das durchstehen! Umso bedauerlicher, dass ihre Figuren von Anfang an so überspannt, so ins Klischeehafte vergröbert gezeichnet sind. Dies ist keine verwirrende, sondern eine sehr klare Welt: eigennützige Verleger, sensationslüsterne Redakteure, machtgierige Politiker. Jaja, so sind sie, alle.

Und ein arg selbstbewusster, selbstgewisser Wissenschaftler. Bei René Schwittay ist Tomas Stockmann kein Grübler, sondern ein Machertyp. Ein gebildeter freilich mit schwarzer Brille, aber einer, der schnell ungemütlich wird, der von Anfang an eher aus Eitelkeit nach der Wahrheit zu suchen scheint denn aus Idealismus. Ein Sympathieträger ist er nicht, und will es auch nicht sein. Was vermutlich den Wutausbruch vorbereiten soll, aber auch das reizvollste Potenzial des Stücks verschenkt: Wo einer von Beginn an als Besserwisser auftritt, kommt man erst gar nicht in die peinigende Verlegenheit, seiner perfiden Argumentation im vierten Akt folgen zu wollen.

Überhaupt bringt Markus Dietz das Publikum in keinerlei Verlegenheit – außer zur Vermutung, das Stück habe für die gut anderthalb Stunden einfach ein paar Wendungen im Plot zu viel und die Probenzeit nicht ganz für ein paar Feinheiten im Ablauf gereicht. Aber nicht diese unfertigen Kleinigkeiten, sondern das vorgefertigte Urteil über die Figuren ist das Problem dieses „Volksfeindes“. Die Pfosten der Gesellschaft sind verschimmelt, der Einzelne sowieso immer nur auf der Suche nach einem Fleckchen im Trockenen (in dieser Inszenierung ein Ding der Unmöglichkeit, das ist ihr Running Gag): Schlimm, schlimm, diese Zustände, nun ja.

Statt einen Konflikt aufzumachen, der sich nicht mit einem Ja-Ja abtun ließe, verläuft sich Markus Dietz in nebensächlichen Handlungssträngen – am überflüssigsten wohl der Missbrauchsversuch der Redakteurin Hovstad an Tochter Petra – und Überdosen von auf die Bühne geschütteter Emotion (die Streicher, die Videos). Eine Frage der Zeit nur, bis Stockmann die hohe Wand aus Quellwasserflaschen einreißt, wütet, und uns die Frage zuwirft: „Wer ist denn nun die Mehrheit, die Dummen oder die Klugen, hm?“ Na gut, zugegeben. Das wäre einen selbstgefälligen Ja-Ja-Lacher wert, hätte die Inszenierung nicht ohnehin die Eindimensionalität der Figuren klar genug vorgeführt – und das Publikum dabei für dümmer genommen, als es angenehm sein kann. Ein fragwürdiger Effekt bei einem Stoff, der doch der Stoff zur (Demokratie-)Stunde sein soll.

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