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Von Heidi Jäger: Wie spielt man Zuhören?

Juliane Götz ist ab heute die „Momo“ am Hans Otto Theater: Eine Figur, die so ganz anders ist, als sie selbst

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Ihre Hände wirbeln durch die Luft, als würden sie ein ganzes Orchester dirigieren. Und auch die Worte sprudeln förmlich aus ihr heraus. Das wilde Temperament von Juliane Götz will so gar nicht zu der leisen Momo passen, in deren „Haut“ die 22-Jährige bei der heutigen Premiere schlüpft. Um so mehr gleicht sie haargenau der äußeren Erscheinung von Michael Endes 1973 erschaffener Figur: „klein und ziemlich mager, mit dem wilden pechschwarzen Lockenkopf und den ebenfalls pechschwarzen Augen.“

Als sie die Rolle am Hans Otto Theater erhielt, sagten alle zu ihr: „Du bist die Momo.“ Doch das sieht Juliane Götz ganz anders. „Ich kannte vorher weder Film noch Buch. Und als ich es las, wurde es mir noch unklarer, was da passen soll.“ Sie sei jemand, der immerzu erzähle, hier ein Späßchen macht, dort mitmischt. „Seit der ersten Klasse stand in meinem Zeugnis, dass ich mich nicht über einen längeren Zeitraum konzentrieren kann und mich und andere stets vom Unterricht ablenke. Doch Momo sagt fast nichts. Ihre Gabe ist das Zuhören.“ Das höre sich so leicht an. „Aber wie spielt man das, wenn man so wenig Text zum Festhalten hat?“, fragt sie als das „Nesthäkchen“ des Ensembles, das kaum auf Bühnenerfahrungen zurückgreifen kann. Doch gerade in dieser Unsicherheit, in ihrer Schwebe, sei sie von Regisseur Andreas Rehschuh bestärkt worden. „Er sagte: ,Das ist genau das Richtige für die Figur.“ So wie sie derzeit auch von allen Litfaßsäulen den Potsdamern förmlich entgegenschwebt. Juliane Götz muss also auf den Regisseur vertrauen, auch wenn sie sich jetzt, kurz vor der Premiere, wie ein Wrack fühle und wie immer Angst habe, den Text zu vergessen. „Da ist es ein Glück, dass Momo nicht viel redet.“

Überhaupt scheint die Figur einiges in ihr ausgelöst zu haben. Denn es geht in dem Fantasymärchen um das so wichtige Thema Zeit. Und daran mangelt es der Schauspielerin permanent. „Was macht es mit uns, wenn wir ständig keine Zeit haben?“, fragt sie sich nun selbst. Und hält tatsächlich einen Moment inne. Im vergangenen halben Jahr habe sie kaum einen freien Tag gehabt, kein Wochenende, kein richtiges Weihnachten. „Seit September spiele ich ein Stück nach dem anderen“: Sie stemmte die große Rolle des Mädchens Hedvig in der „Wildente“, war die Powerfrau in „Aeneis“, danach die mit ihren Reizen kokettierende Kurtisane in der „Kameliendame“. Und nun das Momo-Kind, „das mir aber doch näher ist, als die Männer verführende Sexy-Lady“.

Wenn Juliane Götz mal probenfrei hat, fährt sie schnell an die Hochschule, um noch einen Kurs zu absolvieren. Denn das quirlige Mädchen von der Küste ist nicht nur festes Ensemblemitglied am Hans Otto Theater, sondern für ein Jahr auch noch Studentin an der HFF in Babelsberg. „Es gibt plötzlich einen Alltag, den ich vorher so nicht kannte und der auf Dauer auch nicht funktioniert.“ Ebenso wenig wie ihre Versuche, sich meditativ zu entspannen. „Dafür bin ich viel zu aufgedreht. Ich muss über große Aktivität alles rausballern, um neu tanken zu können.“ Am besten Fahrrad fahren oder joggen. Alles, was sie jetzt mit den ersten Frühlingsstrahlen und nach der Premiere sofort tun will: In Potsdam, ihrer neuen Heimat, die sie richtig mag.

Sie war froh, ihrem begrenzten Inseldasein auf Usedom zu entkommen, selbst wenn die schönsten Kindheitserinnerungen daran hängen. Vor allem das Reiten über die weiten Stoppelfelder. Sie hat so ziemlich alles ausprobiert, was die Insel hergab, spielte wie ihr Vater und ihr kleinerer Bruder Trompete und Jagdhorn, bis sie sich im „grünen Dirndl“ zu blöd vorkam. Dem Karnevalsklub hielt sie indes elf Jahre die Treue und schwang auch als Funkenmariechen die Beine. Sie spielte „Frau Holle“ auf Plattdeutsch und war mit ihrem schwarzen Haar natürlich die Pechmarie. Mit 15 Jahren machte sie ihr Praktikum an der Vorpommerschen Landesbühne Anklam und fortan nahm das Theater die Hauptrolle in ihrem Leben ein. Als treuer Zuschauer des Ralswieker „Störtebeckers“ bereits festivalerfahren, mischte sie nun selbst hieb- und stichfest mit: bei „Vineta“ in Zinnowitz und in dem Historienspektakel „Die Peene brennt“ in Anklam. „Meine Eltern ließen mich immer machen. Und über den Spaß fand ich heraus, was ich wirklich will: eben die Bühne.“

Nur vier Tage nach dem Abitur und dem Ende der verhassten Mathestunden bestand sie bravourös die Aufnahmeprüfung an der HFF und zog mit fliegenden Fahnen nach Berlin. Endlich weit weg von dem kleinen Dörfchen Korswandt „mit seinem begrenzten Horizont“, hinein in die verlockende Anonymität Berlins, die sie bis heute so liebt. „Seitdem ich weg bin, weiß ich aber auch, was ich an der Insel habe. Da reicht der Geruch, ein kurzer Blick über die Düne und schon ist alles wieder so vertraut, als wäre man nie weg gewesen.“

Juliane Götz wohnt inzwischen in Potsdams Innenstadt, in der Mitte zwischen Theater und Hochschule. Auch um Zeit zu sparen, Zeit, um ihre eigene Mitte zu finden und nicht wie bei „Momo“ den grauen Herren auf den Leim zu gehen. Denn sie hat Angst, irgendwann überfordert zu sein. „Es ist ein sehr harter Beruf. Das sieht man, wenn Schauspieler zu viel trinken oder überheblich werden. Deshalb muss man sich immer wieder die Frage stellen: ,Kann ich das ein Leben lang machen?’.“

Noch kann und will sie es, schwärmt von dem Glück, so verschiedene Rollen spielen zu können. Und dass aus dem Vorsprechen für Hedvig in Magdeburg ein Zwei-Jahresvertrag für Potsdam wurde. Bislang also war alles positiver Stress. Momo kam offensichtlich zur rechten Zeit.

Premiere heute um 18 Uhr, Neues Theater, Schiffbauergasse; ab acht Jahren.

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