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„Flökt - a flickering flow“, Deutschlandpremiere an der fabrik Potsdam.

© Jeroen Verrecht

Wie wäre das, ein Leben ohne Gegenüber?: Der Auftakt des Festivals „Kunst und Klima“

Zum zweiten Mal findet das Festival in der fabrik statt. Den immersiven Auftakt machte eine Deutsche Erstaufführung: „Flökt - a flickering flow“.

Potsdam - Der Anfang: dichter Nebel. Wer zum Auftakt des zweiten Festivals „Kunst und Klima“ die Bühne der fabrik betrat, sah kaum die eigene Hand vor Augen. Man war aufgefordert worden, die Schuhe auszuziehen, Jacke und Tasche draußen zu lassen. Barfuß, schutzlos taucht man ein in diese Performance von Bára Sigfúsdóttir und Tinna Ottesen namens „Flökt - a flickering show“. Sie umfängt einen vollkommen, sofort. Ist Reinform dessen, was gerade groß in Mode, als immersives Theater bezeichnet wird: ein Theater, in das man ganz und gar eintauchen kann.

Nichts macht wacher für den Moment, als das Gefühl, angreifbar zu sein. Und was sonst wäre man hier, in einem Raum, in dem die Sitznachbarin nur zwanzig Zentimeter entfernt auf dem selben Stück Teppich am Bühnenboden hockend, kein erkennbares Gesicht hat? Bühnennebelschwaden wabern, das von leichtem Wind bewegte Bühnentuch streicht einem ab und an unverhofft über den Rücken. Dazu Geräusche, die mindestens von Ungewissheit, manchmal aber auch von höchster Bedrohung künden. Sand? Wasserrauschen? Ein rostiges, aus der Übung gekommenes Weckerklingeln? Dumpfe Bässe. Verhauchte Flötentöne.

Wann einen das Grauen packt

Was aber will einem dieser Nichtzustand sagen? Gedanken an Apokalypse liegen nahe, schließlich ist dies ein Festival, bei dem die Auseinandersetzung mit dem Klima im Vordergrund stehen soll. Es ist das zweite seiner Art, den dreitägigen Auftakt gab es 2020. Ins Leben gerufen mitten in der Pandemie von fabrik-Leiterin Sabine Chwalisz, die „Kunst und Klima“ zwar Festival nennt, aber eigener Aussage nach eher als „Plattform“ versteht. Als Ort der Begegnung. Auch diesmal mischen sich Workshops, Debatten (zum Auftakt mit Vertretrer:innen von „Extinction Rebellion“), und auch etwas Kunst. Das Verharren im Nebel also: Ein Gedankenspiel, wie das wäre - eine Existenz ohne erkennbares Leben, fassbare Natur, kurz: ohne Gegenüber? Da packt einen kurz tatsächlich, ganz körperlich, ein Grauen.

„Flökt“ lässt uns, die Zuschauer:innen, aber nicht mit uns allein. Das ist beruhigend, aber auch beinahe schade. Denn gerade als die Auseinandersetzung mit dem inneren Grauen begonnen hat, tauchen drei Gestalten im Nebel auf. Aufrecht erst, dann gekrümmt, rücklings, die Beine in die Luft gereckt. Säuglinge? Käfer? Jedenfalls ein Leben, das sich Bahn bricht, schnüffelt, zappelt, Begegnung sucht - und auch findet. Irgendwann lichtet sich der Nebel. Und man kommt nicht umhin zu denken: Dieser Apokalypse ist man ein bisschen zu leicht entkommen.

Bis Sonntag (11.9.) in der fabrik, Schiffbauergasse. Programm und Karten hier.

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