Keine Advents- und Weihnachtszeit ohne Bachs Weihnachtsoratorium. Doch ist es viel mehr als nur erstarrtes Ritual und üblicher Brauch – es ist eine musikalisch und theologisch zutiefst inspirierte Folge von Kantaten, die in ihrem Deutungsreichtum nichts vom ursprünglichen Reiz eingebüßt haben und deshalb auch immer wieder für Interpretationen attraktiv sind. Ein komplexes Gewebe von Rezitativen, Arien und Chören vermittelt strahlende Freude, aber auch ein inniger, meditativer Ton ist in dem Werk zu finden, das man als eine Art Collage von Bachs eigenen, bereits vorhandenen Werken durch Umtextierung wiederfindet und damit im 18. Jahrhundert einen Meilenstein für das häufige Parodieverfahren setzte.
In der gut besuchten Friedenskirche waren zweimal die Kantaten 1 bis 3 zu hören. Der Oratorienchor Potsdam präsentierte es erstmals ohne Matthias Jacob, seinem langjährigen Dirigenten, der Ende Oktober in den Ruhestand ging. Bis zum Dienstantritt des neuen Kantors Joachim Walter Anfang 2014 übernahm Tobias Scheetz die umfangreichen kirchenmusikalischen Aufgaben des Gotteshauses im Park Sanssouci. Dazu gehört auch die Leitung des Oratorienchores und damit auch das alle Jahre wieder aufzuführende Weihnachtsoratorium.
Das Klangbild des Oratorienchores am ersten Aufführungsabend war durchsichtig, geschmeidig und von einer abgestuften Flexibilität. Satt-prächtige Chöre wie „Jauchzet, frohlocket“, „Ehre sei Gott in der Höhe“ und „Herrscher des Himmels“ wurden mit viel Singlaune und Frische musiziert. Vor allem beeindruckten die Choräle durch die Plastizität der Interpretation, durch die Homogenität des Ausdrucks. Tobias Scheetz wählte insgesamt rasche Tempi, die jedoch nicht über das Ziel hinausschossen. Mit der Kammerakademie Potsdam stand ihm ein Orchester zur Verfügung, das durch sein impulsgebendes Musizieren beispielhaft ist. Doch an diesem Abend schien die Spielfreude der Musikerinnen und Musiker begrenzt zu sein, obwohl es klangschöne Orchestersoli gab. Es schlich sich Routine ein und in der Lautstärke sowie im Zusammenspiel war nicht alles von bester Güte.
Neue Gesichter, neue Stimmen erlebte man diesmal im nicht ganz stimmigen Solistenquartett mit Sophie Malzo (Sopran), Irene Schneider (Alt), Volker Nietzke (Alt) und Tobias Berndt (Bariton). Der für den erkrankten Raimund Nolte eingesprungene Leipziger Tobias Berndt sorgte mit seinem Singen für eine überaus angenehme Überraschung des Konzerts. Die schlanke Noblesse seiner Stimme stellte er stets unaufgeregt expressiv in den Dienst des deutenden musikalischen und textlichen Fortgangs. Klaus Büstrin
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