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Kultur: „Wilde Weihnachten“

The Voice: Tango-Trio mit Daniel Mattar im Foyer des Nikolaisaals

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The Voice: Tango-Trio mit Daniel Mattar im Foyer des Nikolaisaals Keine fette Weihnachtsgans, kein Lametta, keine Christbaumkugeln. Wer bereits am ersten Weihnachtstag genug hatte von schmelzüberzogener Rührseligkeit, der fand sich im Foyer des Nikolaisaales unter zahlreichen Gleichgesinnten gut aufgehoben. Der junge Tango- und Jazz-Sänger Daniel Mattar, begleitet von Marie-Elsa Drelon am Klavier und Daniel Cordez am Kontrabass, der in der hochkarätigen, mit dem Kulturradio des RBB veranstalteten Reihe „The Voice“ vor voll besetzten Jazzclub-Tischen auftrat, gestaltete einen musikalische Reise fernab jedweder winterlichen Schlittenfahrt und Besinnlichkeit. Mattar und seine perfekte Begleitung haben ihr Herz im Süden verloren und sich dem Tango verschrieben. „Es gab nicht viele Frauen in der Tangowelt“, erzählt Mattar in einer seiner unterhaltsamen Überleitungen, „anständige Frauen tanzten diesen Tanz nicht.“ Denn der Tango galt immer als verrucht. Die argentinischen Männer verfielen den wenigen Tänzerinnen schon nach den ersten Takten, doch das leidenschaftliche Verhältnis endete, sobald die Musik verklungen war. Dieser Schmerz des unglücklich verlassenen Mannes erschuf die leidenschaftlichsten Stücke, so auch den wohl bekanntesten Tango, „La Cumparsito“, von Mattars hellem Tenor in vokaler Klarheit vorgetragen, die zwar weniger tiefe Leidenschaft vermittelt, aber Dank ihrer Schärfe, Präzision und Nüchternheit so schön weit weg ist vom Zuckerguss, in den Weihnachten musikalisch sonst so eingetaucht wird. Selbst den paar weihnachtlichen Tränenprovokationen wurde die süße Apfelfüllung genommen. „Jingle Bells“ und „O, du fröhliche“, bei dessen glänzender Interpretation Mattar „trotz seiner Tangoneigung“ an diesem Abend ganz bei sich angekommen zu sein scheint, wurden tranchiert und unter synkopischer Radikaliät zu einem eleganten Appetithappen. Immer wieder spielte Daniel Mattar die vokale Beat-Box, griff zur Melodica, einem Blasinstrument mit Tasten, das in der musikalischen Früherziehung verwendet wird, oder nahm ein Weinglas zur Hand, mit dessen Hilfe er eine Jazztrompete imitierte, ähnlich wie der Stimmkünstler Bobby Mc Ferrin. Vergnüglich war alles an diesem Abend, die Experimente genauso wie die fröhliche Stimmung der Musiker. Ihre Reise durch die Welt der Leidenschaften machte Rast bei einem in Türkisch vorgetragenen Liebeslied über Izmir, bei Jacques Brel in Frankreich, der sich über seinen Tod Gedanken machte und sich fragte, wie sich seine Verwandten bei seiner Beerdigung verhalten würden, und kam immer wieder zum Tango und in den Süden zurück. Es war genau das richtige Konzert zur richtigen Zeit: eine lockere Atempause während einer klebrigen Festlichkeit. Das Publikum wollte nicht zurück unter den Weihnachtsbaum. Zugaben wurden gefordert. Darunter eine hervorragend intonierte a-cappella-Version von „White Christmas“, gesungen von allen Mitwirkenden, in der Mattar den Geist des Abends zusammen fasste: „I dreaming of a wilde christmas“ Nicht rührselig schneebeflockt, sondern leidenschaftlich wild soll Weihnachten klingen.Matthias Hassenpflug

Matthias Hassenpflug

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