Kultur: Wimmelismus-Souvenirs
Grafisches von Bernd A. Chmura im Ministerium
Stand:
Grafisches von Bernd A. Chmura im Ministerium Von Götz J. Pfeiffer Was sind Habseligkeiten? Doch wohl Eigentum, das den Besitzer selig sein lässt. Wenn er sein Hab und Gut dann noch mit anderen teilt, wird er wohl großzügig zu nennen sein. Demnach kann man den in Potsdam nicht unbekannten, 1953 geborene Grafiker Bernd A. Chmura sowohl besitzend als auch freigiebig nennen. Mit seiner knapp 40 Arbeiten umfassenden Ausstellung im Kulturministerium lässt er Beamte und Besucher an seinem zeichnerischen Schatz teilhaben. Mehr Augen zwinkernd als bescheiden ist die Schau mit „Habseligkeiten“ überschrieben. Gleich an der Treppe grüßt Chmura von einem letztjährigen Ölbild in der bekannten Einstein-Pose mit herausgestreckter Zunge. Den rätselhaften Titel „ICEHA“ darf man wohl als „Ich Albert Einstein“ entschlüsseln. Im „Geschmolzenen Porträt“ daneben ist das gleiche Motiv in knallig-bunter Überzeichnung zur psychedelischen Vision in Lila, Schwarz und Rot geronnen. In den letzten gut zwanzig Jahren entwickelten sich Chmuras Arbeiten von überladener Fülle zu vereinzelten Formen. Die „Belebte Niederung“ von 1982, das älteste gezeigte Blatt, bietet in einem leider nur mäßigen Abzug eine von Figuren verschiedener Maßstäbe übervolle Szene. Zum Bersten gefüllt mit kaum benennbaren Personen und Dingen sind auch die „Lückenlosen Strukturen“, ebenfalls eine Radierung, aber von 2001. Dagegen wirken die anderen ausgestellten Arbeiten übersichtlich, ja geradezu geordnet. Weibliche und männliche Geschlechtsorgane in skurriler Verzerrung schleppen die außerirdisch anmutenden „Seltsamigen“ von 1999 mit sich. Sie wurzeln wie die jüngst entstandenen „Verwirrten Ornamente beim Tanz der Mutanten“ in Chmuras älteren Phasen und sind vom gleichen Prinzip der Formverwandlung und zweidimensionalen Projektion bestimmt. Daran und wie die eigenständigen Wesen wuselnd und krauchend die Blätter überbevölkern sind Chmuras Arbeiten wieder zu erkennen. Er selbst bezeichnet seinen Stil mehr scherz- als ernsthaft als „Wimmelismus“. Man könnte es aber auch einen liebenswert-abartigen Ornament-Manierismus nennen. Ein Thema beherrscht – zumindest nach der Bildauswahl der Ausstellung - in den letzten Jahren seine bunte, grafische Welt: Mann und Frau als sexuelle Wesen, gesehen aus männlicher Perspektive. Schon die ältere „Belebte Niederung“ erhielt von Gesichtern auf Hintern und Phalli als Figuren ihre eindeutige Dynamik. Die aquarellierten „Sonderangebote“ zeigen einen Mann, der mit seinem zentimetergenau vermessenen Penis auf eine als Vagina-Zielscheibe zuhält. Und in der comicartigen Bilderfolge „Tagtäglich Sex im Kopf“, einer pastellig colorierten Radierung, sind die Personen die Anhängsel ihrer primären Geschlechtsteile. Hier gilt: Nicht zum Weibe, zur Kopulation drängt alles. Pornografisch sind die grafisch interessanten bis ansprechenden Arbeiten nicht. Von erotischer Wirkung sind sie noch weiter entfernt. Vielmehr haben sie bei aller freizügig-drastischen Darstellung etwas moralinsauer Verklemmtes. Liegt die Frau mit gespreizten Beinen auf dem Blatt „Gespaltener Engel“ nicht auf der teuflischen Seite zwischen ähnlich Verdammenswertem wie Tabakgenüssen, Hakenkreuz und Mord? Und wirken die bewusst verzeichneten Kerle, darunter der sonnenbebrillte Erich Honecker, auf den „14 Varianten zur Vermeidung von Sex“ nicht eigentlich bemitleidenswerter denn als Karikatur auf junge oder ältere Lustgreise? Bemerkenswert ist immerhin, wie Chmura der allgegenwärtigen Zentrierung auf Sex- und Körperkult ein Gegengewicht zu schaffen vermochte. Neuesten Datums ist, dass Chmura in Öl und Acryl eher zahme Szenen festhält. Wenn die Ministerin aus ihrer Tür tritt, kann sie seine buntfarbigen, von kryptischen Wesen belebten „Alltage“ sehen. Etwas weiter schwebt „Hab & Gut“ in astronautischen, blauen Figuren und Dingen durch ein gelbes All. Witzig auch „S. und das Drama der Elf Zwerge“, eine vegetarische Hommage an Schneewittchen als süßes Früchtchen zwischen den Zwergen als scharfen Pepperoni. Von seiner jahrzehntelangen Reise durch seine eigene Welt des Wimmelismus hat Chmura einige Souvenirs mitgebracht. Bis 18. 2. im Kulturministerium, Dortustr. 36, Mo-Do 7.30-17.30 Uhr, Fr 7.30-15.30 Uhr.
Götz J. Pfeiffer
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: