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Stattlicher Bilderkosmos. Der Grübelzwang von Dieter Zimmermann in der Galerie Sperl.

©  Andreas Klaer

Kultur: Wimmelnde Tagebücher

Der Maler Dieter Zimmermann drehte dem Realismus schon zu DDR Zeiten eine Nase – Die Galerie Sperl zeigt jetzt seinen monumentalen „Grübelzwang“

Stand:

Eigentlich grübelt er gar nicht, obwohl der Titel der aktuellen Ausstellung „Grübelzwang“ lautet. Dem pathologischen Grübelzwang verfällt, wessen Gedanken zwanghaft immer um die gleichen Sorgen, Nöte und Ängste kreisen, ohne je eine Lösung zu finden oder diese wirklich zu suchen. Der Maler Dieter Zimmermann wiederholt zwar auch etwas mit einer erstaunlichen Beharrlichkeit, verfällt dabei jedoch nicht in dunkle Gedanken. Vielmehr blinkt eine gehörige Portion Humor aus dem Titel der Ausstellung und dem Bilderkosmos auf.

Auf immer dem gleichen Format von 40 mal 60 Zentimetern malt der Künstler jeweils zwölf kleine einzelne Bilder. Begonnen hat er die Serie 2002. Nach einer Pause im Jahre 2008 setzt er sie nun fort.

Einen 370 Leinwände umfassenden Ausschnitt des mittlerweile auf insgesamt 500 Werke angewachsenen Berges zeigt die Galerie Sperl. Es sind vielgestaltige, kleinteilige Bilder. Sie wirken ein wenig narrativ, sind es aber eigentlich nicht, denn es fehlt der erzählerische Zusammenhang.

Auf einem Bild sind Pilze zu sehen, die kopfüber auf dem Boden liegen. Sie wirken wie gestrauchelt, dahinter zeigt sich ein lachendes Gesicht. Ein kleiner Mann steht auf einem Marktplatz, der vom Mond beschienen wird. Schlangenköpfe bewegen sich auf eine vor Schreck erstarrte Frau zu. Ein gepunkteter Rochen segelt durch die Luft, vorbei an einer bleichen Frau, die ihn missmutig anstarrt.

In den kleinteiligen Wimmelbildern entfaltet sich eine wundersame Welt, die vermutlich surreal wirken würde, wäre sie nicht so beiläufig gemalt, ohne nach tieferer Bedeutung zu heischen. „Das ist wie ein Tagebuch. Ich verzeichne jeden Tag in unzähligen Skizzen, was mir passiert und mich beeindruckt“, erklärt der Maler. Mit seiner Lust zu sammeln und zu ordnen, was ihm der Tag beschert, steht Zimmermann nicht alleine dar. Der Filmemacher und Maler Peter Greenaway begeisterte sich für sonderbare, sich wiederholende Zusammenhänge und krönte sie schließlich mit seinem Film „the falls“ und auch der Philosoph Umberto Eco machte sich Gedanken über „unendliche Listen“.

Nun geht es aber Zimmermann offensichtlich nicht um die Durchdringung der Welt mittels Bilderballungen. Seine Odaliske liegt zwar ebenso bequem im Bild wie diejenige Ingres, zeigt dabei aber pralle Brüste und ein schelmisches Lächeln. Es wird klar: der Maler meint es gar nicht so ernst, nicht das Lexikalische, sondern die Lachfalten interessieren ihn.

Der spöttische Realismus, dem Zimmermann frönt, war nicht unbedingt durch seine Ausbildung vorgegeben. Der heute 67 Jahre alte Künstler studierte in den 60er Jahren bei Willi Sitte, der sich bekanntlich auf das Metier der heroischen Arbeiterbilder spezialisiert hatte. Besonders viel konnte der Professor nicht mit den Bildern Zimmermanns anfangen, aber er ließ seinen Studenten machen. „Das war eine handwerklich gute Ausbildung“, beharrt Zimmermann auch heute noch. Die Behörden legten ihm zu DDR Zeiten nahe, doch auszureisen, denn seine Bilder entsprächen nicht dem offiziellen Menschenbild. Der Maler kam der Aufforderung unverzüglich nach und zog von Seidewinkel nach Brahmow, einen Ort, der einige Kilometer weiter nördlich bei Cottbus im Spreewald liegt. Dort lebt der stämmige, bärtige und mittlerweile ergraute Künstler noch heute. Vielleicht ist es auch nur eine nette Geschichte, die sein Galerist erzählt, aber sie passt zu den schelmischen Bildern.

Mit dem Fall der Mauer erweiterte sich der Aktionsradius und der Absatz der Bilder Zimmermanns. Er fand eine Düsseldorfer Galerie, mit der er auch heute noch erfolgreich zusammen arbeitet. Gänzlich uneitel besteht Zimmermann darauf, dass seine eigene Geschichte eigentlich gar nicht wichtig sei. Er wohne mit seiner Frau im Spreewald, das Kind sei aus dem Haus und gelegentlich schiffe er mit einem Boot durch die Kanäle. Manchmal übernachte er in der Natur und komme dann mit einem prallen Skizzenblock wieder heim. Richard Rabensaat

Dieter Zimmermann: „Grübelzwang“, Sperl Galerie; Am Kanal 47, Platz der Einheit, zu sehen bis 10. Juni, Mi bis So 12 bis 18 Uhr

Richard Rabensaat

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